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er ja Leute davon abhalten, hier reinzukommen.«
»Quatsch«, sagte Kyle. »Die haben mir gesagt, dass sie mich befragen müssten. Alle paar Stunden kommt so’n Schönling von Bulle und quetscht mich aus, wo ich gewesen bin und so weiter.« Er hielt inne und versuchte, seine Arme neu zu positionieren, wobei er unablässig fluchte. »Geil, was? Da tritt dir jemand den Schädel ein und du wirst behandelt wie ein Schwerverbrecher.«
In diesem Moment platzte ein schlaksiger Krankenpfleger herein. Seine Haare waren zu einem dünnen Pferdeschwanz zusammengebunden und er hatte gigantische Pickel im Gesicht. »Die Besuchszeit ist um«, sagte er. »Zeit zum Waschen, Herzchen.«
Kyle stöhnte. »Kann sie das nicht machen?« Er deutete mit dem Kinn auf mich.
»Nein, danke«, weigerte ich mich. »Hier bist du in guten Händen.«
»Krieg ich nicht wenigstens ’ne richtige Schwester?«, jammerte Kyle.
»Tut mir Leid, Süßer«, erwiderte der Pfleger. »Entweder ich oder der Stallgeruch.«
»Dann nehm ich lieber den verfickten Stall«, nörgelte Kyle.
Der Krankenpfleger ging ins Bad; ich hörte das Wasser rauschen. Ich erklärte Kyle, dass ich nun gehen müsse, aber er reagierte nicht. Er wirkte deprimiert, als ob er wüsste, dass es nur noch schlimmer kommen würde. Er bat mich, den Ton lauter zu machen, und ich kam seinem Wunsch nach. Gerade lief ein Beitrag über Maulwürfe. Kyle starrte wie gebannt auf die Mattscheibe. »Sie sind blind«, sagte er mehr zu sich selbst als zu mir. »Aber sie finden sich trotzdem zurecht.«
Ich wiederholte, dass ich jetzt gehen würde. Kyle nickte und bat mich, bald wiederzukommen und ihm Bücher mitzubringen. Alles, was sie hier im Krankenhaus hätten, wären eine Fernsehzeitung und eine furchtbare Illustrierte.
Als ich das Zimmer verließ, war der Polizist weg. Ich wanderte durch das Krankenhaus wie ein Schlafwandler. Schließlich musste ich jemanden nach dem Ausgang fragen. Als ich endlich wieder auf der Straße stand, stellte ich fest, dass ich noch verwirrter war als vor meinem Besuch. Ich machte mich durch kalten Regen und matschigen Schnee auf den Weg zu Carmis Wohnung. Ich wollte nicht mehr ununterbrochen an den malträtierten Kyle in diesem schmuddeligen Krankenhaus denken und konzentrierte mich stattdessen auf die stattlichen Fassaden und die glänzenden, kahlen Bäume, die wie Soldaten die Straße säumten. Ein verblichener Weihnachtsbaum lag auf dem Bürgersteig - ich fragte mich, wer bis Februar wartete, um seinen Baum zu entsorgen. Irgendwie war die Tanne schön - die einzige auch nur halbwegs lebendige Erscheinung an diesem grauen Tag.
25
Zurück in Carmis Wohnung hörte ich den Anrufbeantworter ab. Einige Male hatte jemand wieder aufgelegt, ohne draufzusprechen. Sofort wurde mir flau im Magen. Außerdem hatte Malcolm eine Nachricht hinterlassen. Ich stand vor der Maschine und lauschte seiner aufgebrachten Stimme. Offenbar hatte ein Cop ihn bei Barneys aufgesucht und seine Kunden verscheucht. Das hatte Malcolm allerdings nicht so sehr gestört, denn der Polizist war angeblich ein echter Blickfang gewesen - wenn man den gut frisierten Macho-Typ mochte. Malcolm war sich nicht sicher, was der Typ überhaupt gewollt hatte. Er hatte ihm einen Haufen Fragen gestellt - wo er an einem bestimmten Abend gewesen sei und was er gerade schrieb. Wollten sie ihn etwa als Bullenberater engagieren? Er würde mir in der Mittagspause bei Kaps, einem schmierigen Laden gegenüber von Barneys, mehr erzählen. Ich sollte ihn übermorgen um ein Uhr treffen. »Denk dran«, sagte er, »Pünktlichkeit macht Freunde«. Ich fragte mich, ob Malcolm wohl ausrasten würde, wenn er erfuhr, dass ich sein Stück immer noch nicht wiedergefunden hatte.
Mir war klar, dass die Befragung irgendetwas mit Christian zu tun gehabt haben musste. Und plötzlich sah ich Malcolm in einem etwas anderen Licht. Ich kannte ihn längst nicht so gut, wie ich geglaubt hatte. Sollte ich ihn wirklich treffen? Vielleicht war er ein Verdächtiger.
Ich ging in die Küche, um mir etwas zu essen zu machen. Als ich mit meinem Tunfischsalat zurückkehrte, bekam ich den Schock meines Lebens. Yassi und irgendein fetter Kerl, den ich noch nie gesehen hatte, hatten sich auf Carmis Couch breit gemacht. Sie mussten hinter mir hergegangen sein. Dabei war ich sicher, dass ich die Tür hinter mir zugemacht hatte - oder vielleicht doch nicht? Nicht, dass das jetzt noch eine Rolle spielte. So viel zu Carmis Doppel-Schloss-Strategie. Yassi
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