'Alle meine Kinder'

dieser Bus? Wer darf solche Busse fahren? Schau mal die Ziegen dort!
    Ein schwerkrankes Kind dagegen findet kein Vergnügen an einer solchen Ausfahrt: Ababu sah nicht aus dem Fenster und deutete nicht auf die großen Häuser und fragte sich auch nicht laut wie die munter plappernde Kidist, ob es später wohl ein Eis gäbe. Er hatte Schmerzen und erwartete weiteres Leid; der Nadelstich im Krankenhaus bestätigte ihm, dass das Leben eine Aneinanderreihung schmerzhafter Erlebnisse war - er öffnete den Mund, aber es kam kein Laut heraus; er brachte nicht die nötige Kraft auf, um zu weinen. In letzter Sekunde bewies er allerdings noch einen Rest Widerstandskraft, als er sich krümmte, um der Nadel auszuweichen; der Krankenschwester entglitt sein Arm, und ein paar Tropfen von Ababus Blut fielen auf ihr Handgelenk. Sie rannte los, um ihre Haut mit Desinfektionsmittel abzureiben.
    Kidist dagegen heulte laut auf, als sie mit der Nadel gestochen wurde. Hatte sie sich etwa dafür eine neue Frisur machen lassen? Auf dem Heimweg bat Haregewoin den Taxifahrer, einen Umweg zu fahren, damit sie Kidist zum Trost ein Eis kaufen konnte.
    Einige Tage darauf stand Haregewoin in einer Schlange vor einem Schalter im Krankenhaus, um die Ergebnisse der Bluttests der Kinder abzuholen.
    Zu ihrem Erstaunen erfuhr sie, dass Ababu HIV-negativ war.
    Haregewoin rief Dr. Rick Hodes an.
    »Sehr gut, dann ist es vielleicht einfach eine Milchallergie!«, rief Hodes, froh über die gute Nachricht. »Machen Sie weiter mit der Sojamilch.«
     
    Der Anruf hatte ihn in dem Hospiz der Mutter-Teresa-Schwestern erreicht, wo überall auf dem Betonboden im Hof und den Betonstufen ausgemergelte, unrasierte Männer lagen.
    Aus allen Ecken schlurften hinfällige Männer auf Hodes zu, während er mit Haregewoin telefonierte.
    Ihre Gesichter und ihre Körper schienen geschrumpft; sie mussten mit einem Stück Schnur, das sie sich um die Taille gebunden hatten, ihre Hosen festhalten, und sie rutschten aus ihren Schuhen. Sie traten nahe an ihn heran, streckten ihre Köpfe vor und zogen dicht vor seinem Gesicht ihre Augenlider nach unten oder nach oben.
    Als ich das letzte Mal hier war, hatte ich gerade Nachschub an einem Mittel für Augenkrankheiten aus den Staaten bekommen , erinnerte er sich. Sie glauben, dass ich besonders an Augen interessiert bin, daher hat plötzlich jeder ein Augenproblem.
    Früher waren sie einmal unbeschwerte, lebensfrohe Männer gewesen, einige von ihnen hatten sicher sehr gut ausgesehen. Sie hatten irgendwelche Tricks beim Fußballspielen auf Lager gehabt; sie hatten hübsche Freundinnen gehabt; sie hatten sich für Filme und Musik und die World-Cup-Spiele interessiert; einige hatten die Wände ihrer Zimmer mit den Postern von Sportlern geschmückt; einige hatten Kassetten von ihren Lieblingssängern besessen. Jenseits dieser Mauern hatten sie Mütter und Väter, Großeltern und Geschwister, Frauen und Kinder. Dann hatte Aids angefangen, ihnen alles zu rauben.
    Viele von ihnen erfuhren, dass sie ihre Frauen oder Freundinnen angesteckt hatten. Andere erfuhren, dass ihre Kinder infiziert auf die Welt gekommen waren. Andere hatten zugesehen, wie ihre Babys starben, und einigen wurde bewusst, dass sie die Krankheit nach Hause geschleppt hatten, weil sie vor oder während der Ehe andere sexuelle Kontakte gehabt hatten.
    Die meisten machten noch immer den Eindruck, von dem, was ihnen widerfuhr, völlig schockiert zu sein.
    Hodes konnte einige der opportunistischen Infektionen von Aids behandeln, aber ohne Antiretrovirale konnte er kein einziges Leben retten. Die meisten dieser Männer wussten das, und diejenigen, die es verstanden, verziehen ihm.
    Hodes trat durch einen türlosen Durchgang in einen Krankensaal, der, obwohl so groß wie ein Ballsaal, völlig überfüllt war mit hohlwangigen, gelbgesichtigen, ausgezehrten Gestalten. Die Patienten, die hier lagen, hatten fortgeschrittenere Stadien des Verfalls erreicht als die Menschen draußen. Jeweils zwei oder drei Männer teilten sich eines der schmalen Betten; andere lagen auf dem Betonboden. Viele der Männer sahen aus, als lägen sie im Koma oder seien schon tot, aber wenn der Arzt forschen Schritts zu ihnen trat, rissen sie sich zusammen. Lebende Skelette hoben die Hand, um ihm auf die Schulter zu klopfen oder die Hand zu schütteln. Ihre Münder klappten zu einem zahnlosen Lächeln auf. Die Hälfte von ihnen kannte er mit Namen. Er arbeitete sich händeschüttelnd von Bett zu Bett. In jede