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'Alle meine Kinder'

'Alle meine Kinder'

Titel: 'Alle meine Kinder' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fay Greene
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verteidigte sich. Er hatte mitbekommen, was mit den Müttern geschah. Man musste sich doch nur umsehen. Natürlich sagte ihm seine Mutter, dass es ihr gut ginge, alle Mütter sagten, dass es ihnen gut ginge, dass sie nur ein bisschen müde seien. Und dann starben sie. Bevor ihm das widerfuhr, würde er sich einer einheimischen oder ausländischen gesunden neuen Mutter anschließen, die seine gegenwärtige Mutter unterstützen konnte. Er war von der Richtigkeit seines Tuns überzeugt. Er brachte keine Entschuldigungen vor. Es war ein ausgezeichneter Plan. Er war der Mann in der Familie.
    Haregewoin war zu überrascht, um ihn zu tadeln.
    »Na dann«, sagte sie zu Tigist und lachte hilflos, »wenn Sie wirklich bleiben wollen - im Säuglingszimmer könnte ich Sie gut brauchen.«
    Also zog Tigist ein und nahm sich der kränkesten Babys an. Ein halbes Dutzend Babys - mit niedrigem Geburtsgewicht, unterernährt, möglicherweise HIV-positiv - musste regelmäßig ins Krankenhaus. Haregewoin war immer über Nacht bei ihnen geblieben, weil es nicht gesundheitsförderlich war, ein Familienmitglied in einem äthiopischen Krankenhaus alleinzulassen. Darum kümmerte sich nun Tigist. Wenn ein Kind ins Krankenhaus musste, dann verbrachte Tigist die Nacht neben dem Kinderbettchen auf einer Matte auf dem Boden des Krankensaals.
    Und Henok hielt weiter Ausschau nach einer neuen Mutter, einer Reservemutter, wenn möglich eine mit lebenslanger Garantie.

37
    An einem ansonsten völlig normalen Vormittag traf überraschend Hilfe ein. Eine Frau aus Malta rief Haregewoin an, stellte sich vor und fragte, ob sie sie besuchen dürfte. »Sie können gerne kommen«, erwiderte Haregewoin freundlich, und so besuchte sie eine muntere Frau mit gebräuntem Teint und kurz geschnittenen ergrauenden Haaren, langem Rock und Wanderschuhen, setzte sich und trank Kaffee. Ihr Gesicht legte sich in tausend Fältchen, wenn sie den Kindern zulächelte und ihnen freundliche Worte in einer ihnen fremden Sprache sagte. Ihre langen Fingernägel waren gebogen und farblos. Sie holte aus ihrer Rocktasche ein paar Bonbons und drückte sie den Kindern in die Hand. Dann ließ sie das Schloss ihrer abgewetzten Aktentasche aufschnappen und erklärte, was sie wollte. Sie leitete eine Adoptionsagentur in Malta, sagte sie, und es gäbe eine Reihe von Paaren, die gerne ein Baby aus Äthiopien adoptieren würden. Ob Haregewoin Waisenbabys hierhabe? Wäre sie bereit, sie im Ausland unterzubringen? »Wir müssten natürlich Tests machen lassen«, sagte die Frau. »Die Familien wollen nur HIV-negative Kinder.«
    »Was müssen wir tun?«, fragte Haregewoin. »Sie nehmen sich doch nicht einfach ein Baby und gehen...«
    »Ich arbeite mit einem Waisenhaus des maltesischen Franziskanerordens zusammen«, sagte die Frau. »Die Schwestern dort haben die Erlaubnis Ihrer Regierung, Kinder für internationale Adoptionen freizugeben. Wenn Sie mir eines Ihres Babys anvertrauen, können wir es zu den Schwestern bringen. Wir brauchen nur die Bestätigung, dass es tatsächlich Waise ist.«
    Die beiden Frauen gingen in Haregewoins Zimmer und betrachteten die Babys, die auf Haregewoins Bettdecke mit weit von sich gestreckten Armen und Beinen in der Sonne lagen und ein Vormittagsschläfchen hielten. Die Kinder bewegten sich im Schlaf und schoben das Gewicht ihrer nassen, dicken Windeln von einer Seite zur anderen. »Wie süß sie sind!«, flüsterte die Frau und zog aus ihrer Aktentasche eine Kopie ihrer von der äthiopischen Regierung ausgestellten Lizenz und ein kleines Fotoalbum mit Bildern von glücklichen Adoptivfamilien.
    Das sind ja großartige Neuigkeiten , dachte Haregewoin und fragte: »Die Familien behandeln sie wie eigene Kinder?«
    »Aber meine Liebe! Natürlich behandeln sie sie so, als wären es ihre eigenen Kinder!«
    »Sie lassen sie nicht für sich arbeiten?«
    »Madame Haregewoin, sie geben den Kindern ihren Namen. Sie adoptieren sie vor einem Gericht. Es sind ihre Kinder. Es sind Paare dabei, die keine eigenen Kinder bekommen können. Sie leiden unter ›Infertilität‹.«
    »Ja, ich weiß. Auch hier gibt es solche Leute. Aber warum adoptieren sie keine Kinder aus ihrem Land?«
    »Bei uns gibt es zu wenige Kinder! Fragen Sie mich nicht, warum. Die Frauen lassen sich Zeit mit dem Heiraten, sie haben ihren Beruf, dann warten sie, bis sie fünfunddreißig oder vierzig sind, um eine Familie zu gründen, und dann ist es eben manchmal zu spät.«
    »Hierzulande sind die Frauen mit

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