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Alle meine Schuhe

Alle meine Schuhe

Titel: Alle meine Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hepburn Lucy
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drüben war, wollte ihren Platz aber irgendwie nicht verlassen. Es war undenkbar, dass sie zu ihm ging und die Initiative ergriff. Das hier war ein ganz besonderes Ereignis für Jack, Alice und ihre richtigen Freunde – keine Leute wie sie, die erst am Vortag aus heiterem Himmel aufgetaucht waren. Stattdessen fuhr sie sich durchs Haar und zupfte die Träger ihres Kleides zurecht. Sie beugte sich vor, um den Gesprächen am Tisch besser folgen zu können. Dabei achtete sie auf jede ihrer Bewegungen: wie sie den Kopf nach hinten warf, über die Scherze lachte und sich dabei ertappte, wie sie unauffällig den Raum absuchte.
    Seltsam, ich war doch gestern nicht so kribbelig … Was ist nur los? Ich bin das reinste Nervenbündel!
    Am Zelteingang entstand Trubel, als draußen ein Kleinbus mit der roten Aufschrift Pleasant Shores Senioren-Wohnheim hielt. Amy erhaschte einen kurzen Blick auf Alice, die begeistert die Namen der Neuankömmlinge rief, die einer nach dem anderen aus dem Bus stiegen. Die etwa fünfzehn Senioren wurden die Stufen hinunter und ins Festzelt geleitet. Manche stützten sich auf Gehhilfen, andere waren noch fit und gingen aufrecht. In ihren bequemen, flachen Schuhen sahen sie alle ohne Ausnahme irgendwie elegant aus. Zu Amys Freude trug die Person, die den Bus als Letzte verließ, Tangoschuhe aus braunem Wildleder mit schmalem Riemchen und altmodischen Absätzen – es war die tanzende Dame.
    »Darf ich bitten?«
    »Wie bitte?«
    Amy wirbelte herum und sah den jungen Harry aus der Post vor sich, in schickem Karohemd und roter Fliege. Kerzengerade stand er da und sah sie gespannt an. Die Hand ausgestreckt wartete er auf Antwort.
    Freudig reichte Amy ihm die Hand, und der Junge schüttelte sie feierlich.
    »Und, tanzen Sie mit mir oder nicht?«
    »Oh!« Amy hatte nicht verstanden, dass er sie zum Tanzen aufgefordert hatte. »Tut mir leid, aber ich fürchte, ich kenne all diese Tänze nicht. Ich sollte wohl besser nur zuschauen, meinst du nicht?«
    »Geh schon«, drängte Marlene Amy und stieß ihren Mann in die Rippen, der sofort unterstützend nickte.
    »Der Tanz gerade ist ziemlich einfach«, stimmte Mary-Beth mit ein. »Und Harry hier wird dich sehr fürsorglich behandeln, nicht wahr, Harry?«
    »Natürlich.« Der Junge strahlte Amy an. »Den haben wir in der Schule gelernt – ist leicht. Ich denke zumindest, dass er leicht ist, bisher habe ich ihn noch nie mit einem echten Menschen getanzt.«
    Die Erwartung des Jungen, aber auch der anderen Frauen am Tisch, konnte Amy einfach nicht enttäuschen. »Also …«
    »Na los, Amy«, drängte Mary-Beth. »Was dich nicht umbringt, macht dich stärker!«
    »Eine neue Erfahrung, die du mitnehmen kannst nach London«, fiel Susie mit ein, während sie ihre Flasche hob und mit Mary-Beth anstieß.
    Harrys sommersprossiges Gesicht begann, rot anzulaufen, und sein Lächeln flackerte. Ihr Zögern machte ihn nervös. Amy reichte ihm die Hand und stand auf. Sie wollte jetzt nicht an London denken.
    »Liebend gern, mein Herr, Danke für die Aufforderung – ich kann nur hoffen, dass ich Ihnen nicht auf die Füße trete.«
    Harry verzog nervös das Gesicht und führte sie mitten auf die Tanzfläche. Glücklicherweise hatte Amy bei diesem Tanz bereits zugesehen und sich zumindest einige der Schritte gemerkt. Harry war, trotz seiner Zaghaftigkeit, ein Naturtalent. Die eine Hand hatte er behutsam auf ihren Rücken gelegt, mit der anderen hielt er ihre Hand. Zwei Schritte vor, zueinander drehen, Wechselschritt, dann wie bei einer Polka einmal im Kreis. Anschließend drehte Harry Amy einmal um die eigene Achse (wobei Amy sich ducken musste, obwohl sie selbst nicht sehr groß war) und zum Abschluss mit Walzerschritt zurück in die Ausgangsposition – und dann das Ganze wieder von vorn.
    »Das macht Spaß«, rief sie Harry zu, als ihr Selbstvertrauen wuchs. »Du bist ein fantastischer Tänzer.«
    »Danke«, strahlte er hochkonzentriert. Als Amy zu ihm herunterschaute, konnte sie sehen, dass er seine Fliege mit einem Gummiband im Nacken befestigt hatte, und war gerührt. Lachend hüpften, drehten und galoppierten sie über die Tanzfläche. Amy vergaß alles andere, spürte nur noch die Wärme der sie umgebenden tanzenden Körper, das Stampfen der Musik und die Freude am Tanzen mit einem Jungen, der ihr vertraute, obwohl er nichts über sie wusste. Das alles war so befreiend, so unbelastend und einfach.
    »Darf ich dich ablösen, Harry?«
    Jack Devlin stand wie aus dem Nichts

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