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Alle meine Schuhe

Alle meine Schuhe

Titel: Alle meine Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hepburn Lucy
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an. »Nett?«
    Amy lachte leise. Die Anspannung platzte wie eine Blase. »Also gut, es war sehr nett. Ich bin Engländerin – vergiss nicht, dass wir nicht so überschwänglich sind wie ihr Amerikaner!«
    »Tatsächlich? Nun, habt Dank für den Tanz und die beeindruckende Belehrung, meine englische Rose!«
    »Gern geschehen«, erwiderte Amy so gelassen wie möglich. »Ich bin sicher, du fühlst dich jetzt besser.«
    »Ja, sicher. Komm und sag dem Geburtstagskind Hallo.«
    Während der Bandleader eine Spielpause verkündete, gingen Amy und Jack zu Alice, die strahlend inmitten eines Sees aus Seidenpapier und Blumensträußen saß.
    »Happy Birthday, Mrs Hewitt«, sagte Amy und beugte sich vor, um die alte Dame zu umarmen.
    »Vielen Dank, meine Liebe – und nennen Sie mich bitte Alice.« Sie zeigte auf die vielen Blumen. »Sehen Sie das? Meine Güte, haben Sie jemals so viele Blumen gesehen, außer vielleicht in einem Beerdigungsinstitut? Denken Sie, ich sollte das Mikrofon zurückverlangen und allen hier mitteilen, dass ich noch gar nicht tot bin?«
    »Ja, Grandma, das solltest du unbedingt tun«, antwortete Jack mit gespielter Feierlichkeit. »Kann ich den beiden Damen vielleicht etwas zu trinken holen? Ein Gläschen von Anyas eigenartiger Früchtebowle? Sie sagte, sie sei die ganze Nacht aufgewesen, um Litschis zu schälen.«
    »Nur zu, man sollte immer etwas Neues ausprobieren«, antwortete Alice. »Mit mir kannst du rechnen.«
    »Mit mir auch«, sagte Amy.
    Jack eilte davon. Als Gentleman stellte er sich ganz am Ende einer langen Schlange an.
    »Nehmen Sie sich einen Stuhl, Amy, wir beiden haben etwas zu besprechen.«
    Alice lehnte sich in ihrem Rollstuhl zurück, und Amy gehorchte. Dann seufzte sie tief und wirkte plötzlich ernst und viel älter.
    »Was gibt es?«, fragte Amy und schob ihren Stuhl noch ein Stück näher heran, während Alice für einen Moment die Augen schloss.
    »Amy, warum sind Sie nach Patchogue gekommen?«
    Die Frage traf Amy wie eine Kanonenkugel. Plötzlich prasselten all ihre Lügen vom Vortag auf sie ein: Mr Smith, Wendy, Mandy, das Foto, die Zufälle … Was in aller Welt sollte sie antworten? Sie konnte nicht weiterflunkern, so viel stand fest.
    »Alice … ich …«
    »Keine Angst, meine Liebe, ich bin Ihnen nicht böse.« Alice beugte sich vor und legte die Hand auf Amys Knie. »Es gibt keinen Mr Smith, der gestern in Pleasant Shores eingezogen ist, nicht wahr?«
    Amy schüttelte den Kopf und senkte den Blick auf ihre weißen Sandaletten, die ihr plötzlich verräterisch unseriös vorkamen. Tanzschuhe für die Party einer alten Dame, die ich angelogen habe.
    »Und Claudine, die Schwester am Empfang, erzählte mir, dass eine junge englische Frau ausdrücklich nach mir gefragt habe. Das waren Sie, nicht wahr?«
    Amy nickte. Der Fußboden und ihre Sandaletten waren ungeheuer faszinierend.
    »Man muss kein Genie sein, um darauf zu kommen, dass Sie wegen des Ballettschuhs da waren.«
    Jetzt spürte Amy Trotz in sich aufsteigen und blickte zu Jack. Er sollte auch anwesend sein und sich seiner Großmutter gegenüber rechtfertigen. Aber er war immer noch in der Warteschlange gefangen. Dabei unterhielt er sich angeregt mit dem Mann vor ihm und blickte nicht ein einziges Mal zu Amy und seiner Großmutter herüber.
    »Das Päckchen kam aus London, dazu Ihre Reaktion, als ich den Schuh aus dem Karton nahm. Und aus dieser Entfernung hätte nicht einmal ich erkennen können, ob dieser Schuh von Margot Fonteyn stammt.«
    »Alice, ich schulde Ihnen eine …«
    »Davon abgesehen, dass es nicht einmal einer von Margots Schuhen ist«, fuhr Alice fort und ignorierte Amys Unterbrechung.
    Amy sog die Luft ein. »Was? Sie wissen es?«
    »Aber natürlich!« Alice lachte. »Ich wusste es, noch bevor ich ihn berührte.«
    »Aber wieso?«
    Alice setzte sich in ihrem Rollstuhl auf. »Amy, ich habe viele Jahre lang Margots Schuhe genäht. Lassen Sie mich Ihnen etwas sagen – Sie denken doch, dass eine Tänzerin eine besondere Beziehung zu ihren Schuhen hat?«
    In Amys Kopf wirbelte alles durcheinander.
    »Was hat Ihre Mutter noch gleich gesagt? Der Schuh ist für den Tänzer die Verlängerung seines Körpers?«
    Amy nickte.
    »Nun, lassen Sie mich Ihnen verraten, dass der fertige Schuh auch für die Schuhmacherin eine Verlängerung ihres Körpers ist. Ich kenne jeden einzelnen Stich – nein, jeden Millimeter – von jedem Schuh, den ich jemals angefertigt habe. Jeder Tänzer hat völlig andere Schuhe – als

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