Alle meine Schuhe
auszugehen, denn es dauerte etwa eine Stunde, bis sich Amy, befreit aus dem Gedränge der vielen Menschen, auf den Rücksitz eines Taxis fallen lassen konnte. Ihr blieb nicht einmal Zeit, sich zurückzulehnen, da schoss der Fahrer schon los, mitten in den Verkehr hinein. Die ganze Fahrt über beschimpfte er lautstark jeden anderen Wagen, der ihm in den Weg kam. Endlich kamen sie bei ihrem Hotel, einem lang gestreckten Backsteingebäude, an.
Es sah grauenhaft aus. Aber es würde schon gehen. Ich bin erwachsen. Niemand kann mir das Gefühl geben, minderwertig zu sein. Komm schon, Marsh!
Trotzdem musste sie sich überwinden, um einzuchecken und sich auf ihr Zimmer zu schleppen. Aber schließlich sank sie dankbar auf das Doppelbett in ihrem preiswerten Zimmer, nachdem sie dem Portier ein Trinkgeld für das Tragen ihres Gepäcks gegeben hatte.
Schwer vorstellbar, dass sie noch am Morgen an Sergeis Küchentisch gesessen und die wütendste Nachricht ihres Lebens geschrieben hatte – schlimmer noch als die an Justin, was Ewigkeiten her zu sein schien. Sie teilte Sergei auf einem Zettel mit, dass sie alles über seine Affäre mit ihrer Mutter herausgefunden hatte, dass sie nicht glauben konnte, dass er einen solchen Verrat begangen hatte und dass sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, nie mehr.
Sie zuckte zusammen, als ihr der kurze Nachsatz einfiel, den ihre guten Manieren ihr aufgezwungen hatten: »P. S. Danke, dass ich in deinem Haus wohnen durfte.«
Danach hatte sie sich mit Maria in Verbindung gesetzt, die ohnehin am nächsten Tag zurückkommen wollte. Zum letzten Mal hatte sie Sergeis kostbare weiße Blumen gegossen, grollend seine Post aus dem Briefkasten geholt, den Poolfilter und die Alarmanlage eingeschaltet, den Mietwagen beim Verleih in der Stadt abgegeben, und dann war sie zum Bus nach New York gehinkt.
Eine der ersten Haltestellen auf ihrer Reise war Patchogue. Ihr Herz hatte einen Satz gemacht, als sie in die Stadt fuhren. Verzweifelt hatte sie mit den Augen die Straßen abgesucht. Aber natürlich hatte sie Jack nicht entdecken können. Bestimmt war er damit beschäftigt, das Festzelt abzubauen. Ob er wohl an sie dachte, das englische Mädchen, das sich auf seine Party geschmuggelt hatte und dann um Mitternacht verschwand? Der Gedanke war zu deprimierend an einem ohnehin schon deprimierenden Tag, also hatte sie ihn verdrängt und versucht, sich auf ihr Buch zu konzentrieren.
Wir haben nicht einmal unsere Telefonnummern ausgetauscht...
Von: Jes
An: Amy
Thema: Flugumbuchung
Datum: Samstag, 7. Juli
Was ist los? Was ist aus der Alles-braucht-Zeit -Idee geworden, über die wir uns vor deiner Abreise einig waren? Obwohl heute Samstag ist, es sich aber so dringend anhörte, habe ich mich von Zuhause aus eingeloggt und ein paar Gefälligkeiten eingefordert.
Die schlechte Nachricht ist, dass morgen alle Flüge ausgebucht sind. Urlaubssaison 4. Juli, du erinnerst dich? Es hält dich natürlich nichts davon ab, das zu tun, wovon wir immer allen abraten: zum Flughafen zu fahren und darauf zu hoffen, dass du über Warteliste nachrücken kannst. Allerdings würde ich deine Chancen als nicht sonderlich gut einschätzen. Am Sonntag sollte es leichter sein – geh am JFK Airport zum Computerterminal und buche dein Ticket online um. Da du früher zurückkommen willst, gehe ich davon aus, dass du alle Schuhe bekommen hast? Gute Arbeit!
Ruf mich an.
Peace,
Jes
Von: Debbie
An: Amy
Thema: Früher nach Hause kommen – dass ich nicht lache
Datum: Samstag, 7. Juli
Hör zu, Teufelsbraten, Jes und ich haben mehr Drähte gezogen als eine ganze Telefongesellschaft, um dir diese billigen Tickets zu besorgen – warum zum Teufel willst du früher zurückkommen? Falls du die Schuhe schon alle eingesammelt hast, kannst du dir doch noch ein paar Sehenswürdigkeiten anschauen? Wie zum Beispiel – wie heißt er noch, Jack nicht wahr? – in der Horizontalen auf irgendeinem Bootsdeck? Bist du okay, Lady? Ist irgendetwas passiert?
Wie dem auch sei, Jes kümmert sich um deine Umbuchung. Melde dich und lass uns wissen, was du jetzt vorhast.
Pass auf dich auf,
D
Amy lächelte und dankte ihren Freundinnen im Stillen, während sie von der Lobby aus wieder hoch auf ihr Zimmer ging.
»Was für ein Tag«, murmelte sie und als sie auf ihrem Bett lag, zappte sie sich auf dem großen Bildschirm durch eine Million Fernsehsender. Mit einem Seufzer schaltete sie den Fernseher wieder aus. Draußen hatte der
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