Alle meine Schuhe
bitte.«
Das Kleid der Sängerin war eine hoch geschlossene, schimmernde Säule aus silbernen Pailletten, die ihre hochgewachsene, schlanke Figur umschmeichelte. Ein Schlitz vom Knöchel bis zur Hüfte enthüllte endlos lange Beine in hauchdünnen schwarzen Nylonstrümpfen. An den Füßen trug sie silberne Riemchensandaletten (zumindest waren es nicht Amys, dafür waren sie viel zu groß) mit Absätzen, die mindestens siebzehn Zentimeter hoch waren.
Wow, Respekt! New York, ich liebe dich!
Vier ähnlich glamouröse, dunkelhäutige Frauen – offenbar ebenfalls Künstlerinnen – saßen rund um den Tisch, der der Bühne am nächsten stand. Sie waren aufwendig frisiert und trugen ähnliche Paillettenkleider wie die Sängerin auf der Bühne. Eine von ihnen erneuerte gerade ihr Lipgloss, eine zweite betrachtete ihre Fingernägel. Jede hatte vor sich auf dem Tisch ein Cocktailglas stehen, sie waren coole, lässige Nachtschwärmer. Amy dagegen arbeitete immer noch daran, dass ihr Selbstvertrauen die Oberhand behielt über das nagende Verlangen, um ihr Leben zu humpeln. Aber die Bar verströmte eine behagliche Atmosphäre und Amy gab ihr Bestes, sich zu entspannen. Sie atmete ein paar Mal tief durch, versuchte, die Show eine Weile zu genießen, sich dann anschließend ihre Schuhe zurückzuholen, abzuhauen und zu Hause Jes und Debs alles zu erzählen.
Die Frau auf der Bühne beugte sich leicht vor und sprach mit heißblütiger, wohlklingender Stimme ins Mikro: »Also gut, Ladies und Gentlemen, ich denke, den folgenden Song werdet ihr kennen. Singt mit, wenn ihr in der Stimmung dazu seid, und wenn nicht, dann hört einfach nur zu …«
Als sie anfing, Moon River zu singen, erfüllte ihre volle, schwermütige Stimme den Raum. Vereinzelt hallte Applaus von den Wänden zurück, besonders von den paillettenbesetzten Frauen ganz vorn.
»Vielen Dank, ihr seid zu freundlich«, schnurrte die Sängerin und neigte leicht den Kopf, bevor sie mit der Darbietung fortfuhr.
Das ist Phyllis Lieblingslied!
An Justins Mum zu denken, war ein komisches Gefühl. Der Song öffnete ihr auf unwillkommene Weise die Augen, ließ ihr klar werden, dass die Dinge nach ihrer Rückkehr nie wieder so sein würden wie zuvor. Etwas war verloren gegangen, ob sie und Justin die Dinge ins Reine brachten oder nicht. Phyllis vertraute ihr nicht mehr, und das tat weh. Es gäbe nicht mehr täglich fünf Anrufe. Keine frühmorgendlichen Streifzüge beim nächsten Schlussverkauf. Amy würde all das vermissen.
Sie hob das Glas an die Lippen und trank es in einem Zug leer. Der Alkohol jagte wie eine heiße Welle durch sie hindurch; sie wechselte mit dem Barmixer einen Blick, und er schenkte ihr noch einen Drink ein.
Zum Teufel auch. Ich bin vierundzwanzig und keine vierzehn mehr. Ich werde diese Leute hier nie wieder sehen, mein Fuß tut weh, ich muss nirgendwo mehr hinfahren, vor niemandem Rechenschaft ablegen. Ich werde einfach hier sitzen und meine Sorgen ertränken.
»Ertränken Sie Ihre Sorgen?«, fragte der Barmixer lächelnd und schob ihr ein neues Glas über die Theke hinweg zu. »Sie sind viel zu hübsch, um so traurig zu sein!« Er ahmte ein trauriges Clownsgesicht nach und rang einer widerstrebenden Amy ihr zweites Lächeln an diesem Tag ab. »Warten Sie auf jemanden?«
Das erinnerte sie an den Grund ihres Besuches. »Gewissermaßen, auf … Jamaica«, antwortete sie. »Arbeitet hier jemand mit dem Namen? Ich muss mit ihr reden.«
»Ach so.« Der Barmixer richtete sich auf und biss sich auf die Lippe. Das Lächeln war aus seinem Gesicht gewichen. »Tut mir leid, aber Jamaica ist weg.«
»Weg?«, wiederholte Amy. »Wohin denn?«
Er zuckte mit den Schultern. »Wer weiß? Hat keine Nachsendeadresse hinterlassen – was keinen von uns überrascht. Sie möchten etwas von ihr? Dann lassen Sie mich Ihnen verraten, dass Sie nicht die Einzige sind!«
»Sie ist also einfach … weg?« Amy wusste nicht, was sie sonst sagen sollte.
»Ich fürchte ja. Hat sich in Luft aufgelöst.« Er ging weg, um einen anderen Gast zu bedienen. Amy starrte in ihr Glas und fixierte die Olive auf dem Boden, als hoffte sie, sie würde ihr entgegenspringen und Rat wissen, was sie jetzt tun sollte. Der Wodka entfaltete bereits unangenehm seine Wirkung. Ihre Stimmung war noch tiefer gesunken. Und jetzt? War sie dazu verdammt, jedes Mal daran zu scheitern, ihre Schuhe zurückzubekommen? Wer oder was versuchte, ihr damit eine Lektion zu erteilen?
Sie stürzte den zweiten Drink
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