Alle meine Schuhe
als du ahnst«, nickte Amy und rieb sich den schmerzenden Rücken.
»Ich finde, das verlangt nach einem Drink. Was meinst du?«
»Hast du denn Zeit?« Amy war tatsächlich kurz vorm Verdursten. Durch den langen Flug, die Hitze und die ganze Aufregung an diesem Tag war sie wie ausgedörrt. Für einen Drink hätte sie die Schuhe an ihren Füßen verkauft.
»Natürlich. Komm, lass uns reingehen. Ich stell dir Charlotte vor und mach was zum Abendessen, wenn du Lust hast. Bist du hungrig?«
Amy hatte einen Bärenhunger. »Ziemlich. Und ich glaube, Charlotte habe ich bereits kennengelernt.«
Die kühle, luftige Eingangshalle, auf die Amy bereits einen Blick geworfen hatte, erweckte völlig falsche Vorstellungen vom Rest des Hauses. Amy war jedenfalls glücklich, als sie sich im Wohnzimmer auf ein riesiges Kissen fallen ließ. Der Raum war so vollgestopft mit Sitzsäcken, Decken, Kissen, Wandteppichen, kleinen Skulpturen, Kunstbüchern, Räuchergefäßen, Läufern, Stammesmasken und Kerzen, dass der Fußboden kaum noch zu sehen war. Der Kontrast zu der minimalistischen Wohnung, die sie mit Justin geteilt hatte, konnte kaum größer sein, aber das hier war um ein vielfaches gemütlicher – trotz des Totempfahls, der von der gegenüberliegenden Zimmerecke missbilligend zu ihr hinüber blickte. Sie streifte ihre Schuhe ab und machte es sich mit einer Flasche Bier in der Hand bequem, nachdem Maddy ihr verboten hatte, ihr beim Abendessen helfen zu wollen.
Von oben dröhnte so laute Trash-Metal-Musik, dass die Fransen von Amys Sitzkissen leicht vibrierten. Aber als Maddy in den Hausflur ging und schrie, Charlotte solle die Musik leiser stellen, wurde es sofort erschreckend still. Das unausgesprochene »Bist du jetzt zufrieden?« war dennoch laut und deutlich zu hören.
»Dieses Mädchen«, stöhnte Maddy, als sie ein Tablett mit drei dampfenden Schalen Fischsuppe und einem Teller knuspriger Brötchen hereinbrachte. Sie stellte das Tablett auf den großen indischen Couchtisch, der die Mitte des Raums beherrschte.
»Das sieht köstlich aus.« Amy musste sich bremsen, um sich nicht sofort auf eine der Schalen zu stürzen.
Maddy ging noch einmal zurück in die Eingangshalle. »Charlotte!«, brüllte sie. »Essen ist fertig!«
Amy schnappte nur Bruchstücke der Antwort auf – es war auf jeden Fall nicht: »Toll, Mum, bin schon auf dem Weg!« oder etwas in der Art. Die letzten drei Wörter klangen jedenfalls wie: »ruinierst mein Leben«. Maddy kam kopfschüttelnd zurück ins Wohnzimmer.
»Na ja, dann bleibt mehr für uns. Charlotte geht heute aus.« Ihr Gesicht verriet nicht, was sie dachte.
»Ist mit Charlotte alles in Ordnung?«, fragte Amy zögernd.
»Sicher. Sie ist vierzehn – mit allem, was dazu gehört.« Maddy setzte sich im Schneidersitz auf ein Kissen und balancierte die Suppenschale auf ihrem Schoß. Sie nahm sich einen Löffel und probierte die Suppe. Dann rümpfte sie die Nase und griff nach der Pfeffermühle.
»Als Kind hatte sie richtig gute Manieren, aber das wird irgendwann wiederkommen, ganz sicher.«
»Sie ist immer noch ein Kind«, konnte sich Amy nicht verkneifen. »Mit vierzehn wusste ich nichts vom Leben.«
»Ja, sie ist ein Kind, aber sie ist auch eine junge Frau«, erwiderte Maddy. »Kannst du dich daran erinnern, wie verwirrend dieser Zustand ist?«
»Ja, irgendwie schon. Das hier schmeckt übrigens köstlich.« Die Suppe war wirklich lecker, cremig und tröstlich. Amy ließ einen Löffel auf der Zunge zergehen und schloss die Augen.
Plötzlich erinnerte sie sich an etwas. »Als ich ungefähr vierzehn war, habe ich mich entschieden, zu streiken und kein Wort mehr mit meiner Mutter zu reden. Es war ein ziemlich heftiger Protest.«
»Wogegen denn?«
Amy kicherte. »Keine Ahnung, ich weiß nur noch, dass ich damals fest davon überzeugt war – von was auch immer.«
»Wirklich? Und wie lange hast du durchgehalten?«
»Ich weiß nicht – vielleicht fast einen ganzen … Tag.«
»Eine Frau mit Prinzipien!« Maddy lachte, und Amy stimmte mit ein. »Charlotte ist wohl einfach eine jüngere Version von dir – nur ein bisschen entschlossener! Wie alt bist du? zweiundzwanzig? dreiundzwanzig?«
»In drei Tagen werde ich fünfundzwanzig«, gestand Amy. »Ein Viertel Jahrhundert.« Sie verzog das Gesicht, bestrich ein Brötchen mit Butter und biss hinein.
»Hey«, schnaubte Maddy, »warte, bis dein nächster runder Geburtstag der fünfzigste ist, dann hast du Grund, dich zu sorgen. Für
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