Alle Menschen sind sterblich
Geschäften ziffernmäßig bewerten: es waren Serienartikel, unpersönlich und luxuriös. Regine wollte aus diesem Abend jedoch ein Meisterwerk machen, das nicht kopierbar wäre. Sie sah gern Leute bei sich. Einen ganzen Abend lang würde in aller Augen das Bild dieser Einrichtung stehen, in der sich ihr Leben abspielte, sie würden die Speisen essen, die sie hergestellt hatte, die Grammophonplatten hören, die sie für sie ausgesucht hatte: den ganzen Abend lang würde sie ihr Vergnügen kommandieren. Sie schlug energisch die Eier, und die Creme in der Schale fing an, immer fester zu werden. Aber im Vorzimmer hörte sie den monotonen Schritt, der nie haltmachen wollte.
«Ach, er macht mich allmählich nervös», sagte sie.
«Soll ich es ihm sagen?»
«Nein … Es lohnt sich nicht.»
Seit einer Stunde lief er hin und her wie ein Bär im Zwinger.Sie schlug die Eier, und er rannte auf und ab; ein Tropfen nach dem andern setzte sich schwarz, dick und gehaltvoll auf dem Boden der Schale ab: sein Schritt verlor sich im All und hinterließ keine Spur. Er bewegte die Beine, und sie bewegte die Hand: die Creme wird gegessen werden, die Schale abgewaschen, und keine Spur wird bleiben.
‹Wie es euch gefällt›, ‹Berenike›
, der Kontrakt für den
‹Sturm› . .
. Tag für Tag baute sie geduldig ihre Existenz auf. Und er kam und ging und machte die Schritte wieder rückgängig, die er getan hatte. Bei mir wird alles ganz plötzlich wieder aufgelöst sein …
«Mach das hier fertig», sagte sie. «Ich möchte mich umziehen gehen.»
Sie zog das lange schwarze Taftkleid an und wählte aus ihrem Schmuckkasten ein geeignetes Kollier. «Heute abend werde ich Zöpfe tragen», sagte sie laut vor sich hin. Seit einiger Zeit hatte sie die Gewohnheit angenommen, laut vor sich hin zu sprechen. Es läutete an der Wohnungstür, die ersten Gäste kamen. Langsam flocht sie ihr Haar. «Heute abend werde ich ihnen mein wahres Antlitz zeigen …» Sie trat näher an den Spiegel heran und lächelte sich zu. Ihr Lächeln erstarrte, und das Gesicht, das sie so sehr geliebt hatte, wurde zu einer Maske, es gehörte ihr nicht mehr; auch ihr Körper war ihr fremd: ein Mannequin, weiter nichts. Sie wollte wieder lächeln, und das Mannequin lächelte im Spiegel. Sie wandte sich rasch ab. Noch einen Augenblick länger, und sie hätte sich selber Fratzen geschnitten. Sie drückte die Tür zum Studio auf. Die Lämpchen brannten alle, auf Sesseln und Diwanen saßen sie: Sanier, Flora, Dulac, Laforêt. Fosca saß mitten unter ihnen und sprach mit heiterer Stimme; Annie bot die Cocktails an. Alles sah wirklich aus. Sie reichte ihnen lächelnd die Hand, und sie lächelten auch.
«Wie schön Sie in diesem Kleid sind», rief Flora aus.
«Nein, aber Sie sind entzückend.»
«Diese Cocktails sind fabelhaft.»
«Sie sind auch eigene Erfindung.»
Sie tranken die Cocktails und blickten Regine an. Es läutete von neuem an der Außentür; von neuem lächelte sie, die anderen lächelten auch, sie schauten und hörten zu. In ihren wohlmeinenden oder übelwollenden oder bezauberten Augen spiegelte sich ihr Kleid, ihr Gesicht, der Schmuck ihres Arbeitszimmers in tausend kleinen Feuern. Und alles sah immer wirklich aus. Ein glänzender Empfang. Hätte sie es nur lassen können, zu Fosca hinzusehen …
Sie wendete den Kopf. Jetzt war sie ganz gewiß: er hielt seine Augen auf sie geheftet mit jenem Mitleidsblick, unter dem sie sich nackt vorkam. Er sah das Mannequin, er sah die ganze Komödie. Sie nahm einen Kuchenteller vom Tisch und bot ihn ringsum an.
«Bitte, nehmen Sie doch.»
Dulac biß in einen Indianerkrapfen, und sein Mund füllte sich mit dicker schwarzer Creme. Ein Augenblick meines Lebens, dachte Regine, ein kostbarer Augenblick meines Lebens zergeht in Dulacs Mund. Sie nehmen meine Existenz mit der Zunge und durch die Augen wahr. Und wenn?
«Wo fehlt es eigentlich?» fragte eine liebevolle Stimme.
Es war Sanier.
«Überall», stieß Regine hervor.
«Morgen unterzeichnen Sie den Kontrakt für den
‹Sturm›
, die ersten Aufführungen von
‹Berenike›
waren ein Erfolg, und da sagen Sie noch: Es fehlt überall?»
«Ich bin eben unglücklich veranlagt», sagte sie.
Saniers Antlitz wurde ernst: «Im Gegenteil.»
«Im Gegenteil?»
«Ich mag die zufriedenen Leute nicht.»
Er blickte sie so freundschaftlich an, daß etwas Hoffnung in ihr Herz zurückkehrte. Sie fühlte übermächtig denWunsch, aufrichtige Worte zu sagen und
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