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Alle Menschen sind sterblich

Alle Menschen sind sterblich

Titel: Alle Menschen sind sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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Herz nicht mehr zu erfreuen vermochten, wozu waren sie da?
    «Wir leben in Frieden», fuhr Antonio fort. «Unsere ganze Geschichte liegt in diesen Worten. Die Umwälzungen in Mailand, die Kriege von Neapel, die Aufstände in den toscanischen Städten, wir haben mit alldem nichts zu tun. Auf und ab in Italien trägt sich alles zu, als existiere Carmona nicht mehr. Was nützt uns unser Reichtum, unsere Weisheit, unsere Kultur, wenn wir auf unserem Felsen hoch oben sitzen bleiben wie ein verrotteter Pilz?»
    «Ich weiß», sagte ich. Schon lange wußte ich.
    «Und wozu nützt der Krieg?»
    «Kannst du das überhaupt fragen?» rief Antonio aus. «Wir bekommen dadurch einen Hafen und einen Zugang zum Meer. Carmona wird hinter Florenz nicht länger zurückstehen müssen.»
    «Rivello hat uns früher schon einmal gehört», sagte ich.
    «Aber dieses Mal werden wir es behalten.»
    «Die Manzoni sind mächtig», sagte ich. «Die Verbannten werden in der Stadt keinen Anhang finden.»
    «Sie rechnen auf die Hilfe des Herzogs von Anjou», gab Antonio zurück.
    Das Blut stieg mir ins Gesicht.
    «Wir werden doch diese Franzosen nicht hier zu uns hereinholen.»
    «Warum denn nicht? Andere haben sie vor uns geholt. Man wird sie wieder holen, und dann vielleicht gegen uns.»
    «Deswegen wird es bald kein Italien mehr geben», sagte ich. Ich legte meine Hand auf Antonios Schulter. «Wir sind nicht mehr so stark wie in früheren Jahrhunderten. Die Länder,die wir barbarisch nannten, sind auf dem besten Wege, größer und stärker zu werden; Frankreich und Deutschland gönnen uns unsere Schätze nicht. Glaube mir, unser Heil liegt allein im Frieden und in der Einigkeit. Wenn wir wollen, daß Italien den drohenden Einfällen widersteht, müssen wir unser Bündnis mit Florenz erneuern, uns mit Venedig und Mailand verbinden und eine Stütze suchen bei den Schweizer Milizen. Verharrt jede einzelne Stadt in eigensüchtigen Zielen, so ist Italien verloren.»
    «Das hast du schon hundertmal erklärt», rief Antonio trotzig. Und voller Zorn fügte er hinzu: «Wir können mit Florenz nur weiter verbündet bleiben, wenn wir in seinem Schatten unser Dasein fristen.»
    «Was tut das?» meinte ich.
    «Du willst das alles hinnehmen, du, der du soviel für Carmonas Ruhm getan hast?»
    «Carmonas Ruhm hat wenig Gewicht neben dem Wohl Italiens.»
    «Was geht Italien mich an», rief Antonio aus, «Carmona ist meine Vaterstadt.»
    «Es ist eine Stadt unter anderen», sagte ich. «Es gibt so viele Städte.»
    «Denkst du denn wirklich, was du sagst?»
    «Ja, ich denke es.»
    «Und wie», rief Antonio heftig aus, «wagst du dann zu regieren? Was hast du mit uns zu tun? Du bist ein Fremder in unserer Stadt.»
    Ich blickte ihn lange schweigend an. Ein Fremder. Er hatte recht. Ich war nicht mehr von hier. Sein Carmona war nach dem Maß seines sterblichen Herzens gemacht, und er liebte es. Ich hatte kein Recht, ihn zu hindern, sein Menschengeschick zu erfüllen, das ich nicht lenken konnte.
    «Du hast recht», sagte ich. «Von heute an bist du in Carmona der Herr.»
    Ich nahm Beatrice beim Arm und zog sie fort an das Wasser.
    «Vater!» rief Antonio mir mit unsicherer Stimme nach, aber ich wendete mich nicht.
    Ich setzte mich neben Beatrice auf eine Steinbank nieder.
    «Ich glaube, es mußte so kommen», sagte ich.
    «Ich verstehe Antonio», warf sie trotzig hin.
    «Du liebst ihn?» fragte ich rasch zurück. Ihre Lider zuckten. «Ihr wißt es ganz genau.»
    «Beatrice», sagte ich. «Er wird dich niemals lieben.»
    «Aber ich liebe ihn.»
    «Vergiß ihn. Du bist nicht zum Leiden gemacht.»
    «Ich fürchte mich nicht davor.»
    «Welch törichter Hochmut!» rief ich mit Zorn im Herzen aus.
    Er verlangte nach Sorgen; und sie liebte ihr Leiden. Welcher Dämon beherrschte sie?
    «Wirst du immer das kleine Mädchen bleiben, das nur das Verbotene reizt? Warum mußt du denn immer einzig nach dem verlangen, was keiner dir geben kann?»
    «Ich verlange nichts.»
    «Du hast alles», sagte ich. «Die Welt ist ja so weit, und wenn du willst, so gehört sie dir.»
    «Ich brauche nichts.»
    Sie hielt sich ganz aufrecht, ein wenig steif; ihre Hände ruhten flach auf ihren Knien, und ich hatte das Gefühl, daß sie wirklich nichts brauchte; mit Glück überhäuft, um alles betrogen, sie würde immer sie selber sein.
    «Du bist gemacht, um glücklich zu sein», sagte ich. «Ich will dich glücklich machen.»
    Ich faßte sie am Handgelenk, sie sah mich verwundert an.
    «Vergiß

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