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Alle Menschen sind sterblich

Alle Menschen sind sterblich

Titel: Alle Menschen sind sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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etwas tun. Aber wo? Und was? Ich verstand die Tyrannen, die eine Stadt verbrennen oder Scharen von Menschen den Kopf abschlagen, um sich ihre Macht zu beweisen: aber sie töten immer nur Menschen, die schon zum Sterben verurteilt sind, und sie zerstören nichts als künftige Ruinen.
    Ich wendete mich um: Beatrice stand an die Wand gelehnt, sie blickte starr ins Leere. Ich ging ihr entgegen.
    «Beatrice», sagte ich. «Ich habe mir geschworen, daß du meine Frau werden mußt.»
    «Nein», sagte sie.
    «Ich werde dich ins Gefängnis werfen, und da wirst du bleiben, bis du eingewilligt hast.»
    «Ihr werdet das nicht tun.»
    «Du kennst mich nicht», sagte ich. «Ich werde es dennoch tun.»
    Sie wich einen Schritt zurück und sagte mit bebender Stimme: «Ihr habt gesagt, Ihr wolltet mein Glück.»
    «Ich will es und werde dich zwingen dazu. Ich habe Antonio Herr über sein Leben sein lassen, und er hat es verloren; er ist umsonst gestorben. Ich werde diesen Fehler nicht noch einmal begehen.»
     
    Der Krieg fing von neuem an. Zu schwach, um mich in einen Kampf mit meinen mächtigen Verbündeten einzulassen, mußte ich mich weigern, Rivello zurückzugeben, und sogleich belagerten die Florentiner mehrere Kastelle an unseres Landes Grenze. Durch Handstreich nahmen sie ein paar feste Plätze, und wir lockten einige ihrer Heerführer in einen Hinterhalt. Es gab Franzosen, die in meinem Heer dienten, und die Florentiner hatten 800   Stradioten angeworben: die Kämpfe waren blutiger als früher, denn diese fremden Soldaten gaben keinen Pardon; doch die Ergebnisse waren genauso ungewiß; nach Ablauf von fünf Jahren sah es nicht so aus, als würde jemals Florenz mit uns fertig werden oder als könnte Carmona sich jemals von jenen befreien.
    «Das kann noch zwanzig Jahre dauern», sagte ich. «Und dann wird es weder Sieger noch Besiegte geben.»
    «Zwanzig Jahre», sagte Beatrice.
    Sie saß neben mir in meinem Arbeitszimmer und blickte durch das Fenster in das Abendlicht; ihre Hände ruhten flach auf ihren Knien. Sie trug einen Ring am Finger, aber meine Lippen hatten noch niemals die ihren berührt. Zwanzig Jahre   … Sie dachte nicht an Krieg. Sie dachte: In zwanzig Jahren bin ich beinahe fünfzig. Ich stand auf und wendete den Rücken gegen das Fenster; ich mochte die Dämmerung nicht mehr.
    «Hörst du?» sagte sie.
    «Ja.»
    Ich hörte eine Frau auf der Landstraße singen, und ich hörte in Beatrices Herzen das gleiche matte Schlagen wie in meinem Herzen.
    «Beatrice», sagte ich rauh. «Ist es wirklich unmöglich, daß du mich liebst?»
    «Sprechen wir nicht mehr davon», sagte sie.
    «Alles wäre anders, wenn du mich lieben könntest.»
    «Schon eine ganze Weile hasse ich dich nicht mehr.»
    «Aber du liebst mich nicht», sagte ich.
    Ich stellte mich vor einen großen, trüben Spiegel hin. Ein Mann auf der Höhe des Lebens, mit hartem, faltenlosem Gesicht; der muskulöse Körper kannte kein Ermatten; ich war größer und kräftiger als die Männer dieser Zeit.
    «Bin ich denn so abschreckend?» fragte ich.
    Sie gab keine Antwort. Ich setzte mich zu ihren Füßen.
    «Wir verstehen uns doch eigentlich gut. Es scheint mir, daß du mich verstehst und daß ich dich verstehe.»
    «O ja», sagte sie.
    Mit den Fingerspitzen streifte sie über mein Haar.
    «Also? Und was fehlt? Was du an Antonio liebtest, findest du nicht bei mir?»
    Sie zog ihre Hand zurück. «Nein.»
    «Ich weiß. Er war schön, großherzig, mutig und stolz. Habe ich keine von diesen Tugenden?»
    «Du scheinst sie nur zu haben   …»
    «Ich scheine   … Bin ich ein Betrüger?»
    «Du kannst nichts dafür», sagte sie. «Ich habe jetzt begriffen, daß du nichts dafür kannst, und hasse dich seitdem nicht mehr.»
    «Das mußt du mir erklären.»
    «Wozu?» meinte sie.
    «Ich möchte es gern wissen.»
    «Wenn Antonio in einen See sprang, wenn er als erster angriff, so bewunderte ich ihn, weil er sein Leben wagte; aber was ist bei dir denn Mut? Ich liebte seine Großherzigkeit: du gibst, ohne deine Schätze zu zählen, deine Zeit zu berechnen, deine Mühen zu wägen, aber du verfügst ja über Millionen Leben, und was du opferst, bleibt immer nichts. Ich liebte auch seinen stolzen Sinn; ein Mensch wie alle anderen, der sich entschließt, er selbst zu sein, das ist etwas Schönes; du bist ein Ausnahmewesen und bist dir dessen bewußt; da rührt mich das alles nicht.»
    Sie sprach knapp und klar, ohne Mitleid noch Haß, aber durch ihre Worte hindurch hörte

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