Alle Menschen sind sterblich
blitzte es auf: «Ich will gefallen, wie ich bin.» Ich schlug den Deckel der Truhe zu. Sie hatte recht. Wozu? So wie sie war, in ihrem strengen Kleid, mit ihrem ungeschminkten Gesicht, die Haare von einem Netz zusammengehalten, gerade so gefiel sie mir.
«Dann suche dir einen von diesen Teppichen hier für dein Zimmer aus.»
«Ich brauche keinen.»
«Was braucht man schon?» rief ich ungeduldig aus.
«Ich mache mir nichts aus Luxus», sagte sie.
Ich faßte sie am Arm. Ich hätte ihr meine Fingernägel in das Fleisch drücken mögen. Zweiundzwanzig Jahre! Und sie urteilte, sie entschied, sie fühlte sich zu Hause auf der Welt, als wohnte sie seit Jahrhunderten darin. Sie urteilte auch über mich.
«Komm», sagte ich.
Ich führte sie auf die Terrasse. Die Hitze hatte nachgelassen, die Springbrunnen rauschten leise.
«Auch ich liebe den Luxus nicht», sagte ich. «Nur für Antonio habe ich dieses Haus hier bauen lassen.»
Beatrice stützte sich mit den Händen auf den heißen Stein der Brüstung. «Es ist zu groß», sagte sie.
«Warum zu groß? Es gibt da kein Maß.»
«Es ist verschwendetes Geld.»
«Warum denn nicht verschwenden? Was meinst du denn, was man mit dem Geld machen sollte?»
«Ihr habt nicht immer so gedacht», sagte sie.
«Das ist wahr», sagte ich.
Ich hatte den Tuchmachern Geld geliehen, die Bürger von Carmona hatten Vermögen aufgehäuft; die einen arbeiteten daraufhin ebenso besessen weiter wie zuvor, um sich noch mehr zu bereichern, die anderen verbrachten ihr Leben in sinnlosen Völlereien. Früher waren die Sitten in Carmona streng und rein gewesen; jetzt gab es Händel jede Nacht; Ehemänner rächten mit dem Dolch ihre vergewaltigten Frauen, und Väter forderten Sühne für ihre entführten Töchter. Sie hatten so viele Kinder, daß die Familien wieder verarmten. Ich hatte Spitäler bauen lassen; und die Leute wurden älter als zuvor; aber schließlich starben sie doch. 200 000 Einwohner gab es jetzt in Carmona, doch die Menschen waren nicht glücklicher und nicht besser als früher. Sie waren zahlreicher, aber jeder einzelne blieb deswegen doch für sich mit seinen Freuden und Leiden. Carmona war ebenso voll gewesen, als seine alten Mauern nur 20 000 Menschen umschlossen.
Ich fragte unvermittelt: «Sage mir: Zweihunderttausend Menschen, ist das besser als zwanzigtausend? Und wer hat Nutzen davon?»
Sie dachte einen Augenblick nach. «Welch seltsame Frage», sagte sie.
«Für mich stellt sie sich so.»
«Ach, für Euch vielleicht», sagte sie.
Sie blickte in unbestimmte Fernen, sie war weit fort von mir, und ich spürte im Mund den gleichen bitteren Geschmack,den ich einzig und allein in ihrer Nähe empfand. Ein Schwarm von goldenen Stäubchen tanzte in der Luft; gern hätte ich gedacht: auch sie ist nichts anderes als eines von diesen Insekten, die nur bis heute abend leben; doch sie war ebenso lebendig, ebenso wirklich wie ich; für sie hatte ihre Eintagsexistenz mehr Gewicht als mein eigenes Geschick. Lange starrten wir schweigend auf die Kaskade hin, den scheinbar ewig gleichen und doch in Wirklichkeit ewig vergehenden Vorhang, der vor den Felsstücken hing und aus dem weiße Schaumfetzen stoben; immer der gleiche Schaum, und immer ein anderer.
Plötzlich stand Antonio oben an der Freitreppe; in Beatrices Augen schoß eine Flamme auf; warum sah sie gerade ihn mit diesen glühenden Blicken an? Antonio liebte sie nicht.
«Was wollten diese Verbannten denn?»
Antonio sah ernst auf mich herab, es fiel ihm nicht leicht zu sprechen. «Sie wollen, daß wir ihnen helfen, Rivello zurückzugewinnen.»
«Ah! Und was hast du ihnen für eine Antwort gegeben?»
«Ich habe geschworen, Rivello werde unser sein, bevor ein Monat vergeht.»
Es trat Stille ein.
«Nein», sagte ich. «Wir wollen nicht wieder mit diesen Kriegen anfangen.»
«Also bist du es doch wieder, der die Entscheidungen trifft», rief Antonio hitzig aus: «Werde ich denn niemals Herr von Carmona sein?»
Ich blickte zum unbeweglichen Himmel auf. Die Zeit war stehengeblieben. Er hatte sein Schwert gezogen, und ich hatte ihn getötet; und auch dieser hier wünschte meinen Tod.
«Soll ein Krieg deine erste Regierungstat sein?»
«Ach was!» rief Antonio aus. «Wie lange sollen wir denn in diesem Frieden verkommen?»
«Es hat mich viel Zeit und viel Mühe gekostet, uns diesen Frieden zu sichern», sagte ich.
«Und was nützt er uns?»
Die Springbrunnen sangen ihr sinnloses Lied. Wenn sie Antonios
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