Alle Menschen sind sterblich
frechen Gesichtern, ihren klobigen Händen und dem derben Gelächter, das den Raum erfüllte.
«Das sind die wahren Sieger.»
«Nun ja, und sie sind unsere Verbündeten.»
«Allzu mächtige Verbündete. Der Hafen von Rivello wird ihnen als Stützpunkt dienen, um Neapel anzugreifen. Und wenn sie Neapel haben …»
«Wir können auch die Franzosen besiegen», sagte Beatrice.
«Nein», sagte ich.
Ein langes Schweigen entstand, und dann sagte sie: «Ich möchte eine Gunst von Euch erbitten.»
Ich sah ihr kleines, gequältes Gesicht.
«Laßt mich fort von hier.»
«Wohin willst du gehen?»
«Ich will bei meiner Mutter leben.»
«Alle Tage Wäsche waschen und die Kühe hüten?»
«Warum nicht? Ich möchte nicht bleiben.»
«Ist meine Gegenwart dir so unerträglich?»
«Ich habe Antonio geliebt.»
«Er ist gestorben, ohne sich um dich zu kümmern», sagte ich hart. «Du solltest ihn vergessen.»
«Nein», sagte sie.
«Denke an deine Kindheit zurück», sagte ich. «Wie du das Leben liebtest.»
«Gerade darum.»
«Bleib hier. Ich werde dir alles geben, was du dir wünschen kannst.»
«Ich wünsche nur zu gehen.»
«O du Starrsinnige», rief ich aus. «Und was für ein Leben wirst du da draußen führen?»
«Ein Leben jedenfalls», sagte sie. «Versteht Ihr denn nicht, daß man in Eurer Nähe einfach nicht atmen kann? Ihr tötet alle Wünsche. Ihr schenkt und schenkt, aber niemals anderes als Flitterwerk. Vielleicht hat Antonio deswegen lieber sterben wollen: Ihr hattet ihm keine andere Art zu leben möglich gemacht.»
«Geh zu deiner Mutter», rief ich zornig aus. «Und begrab dich lebendig.»
Ich wandte mich auf dem Absatz um und schritt zu den Abgesandten. Der Gesandte des Herzogs von Anjou erhob sich und trat auf mich zu.
«Was für ein prächtiges Fest!»
«Ein Fest», sagte ich.
Ich sah die alten Mauern wieder vor mir, von denen hier und da eine dürftige Stickerei herunterhing. In einem wollenen Kleid saß Caterina und stickte. Jetzt verschwanden dieMauersteine unter Seidenbehängen und Spiegeln; Männer und Frauen waren in Seide und Gold gekleidet; doch die Herzen blieben von Süchten erfüllt; Eliane blickte voll Haß auf Beatrice, und die anderen Frauen neideten Eliane das Halsband aus Rubinen; die Ehegatten blickten mit eifersüchtigen Augen zu ihren Frauen hin, die mit den Fremden tanzten; sie alle waren voll Ehrgeiz, von Überdruß, von Groll verzehrt und gaben nicht acht auf den Prunk, der sie täglich umgab.
«Ich sehe den florentinischen Gesandten nicht mehr», sagte ich.
«Ein Bote ist gekommen und hat ihm einen Brief gebracht», sagte Jacques d’Attigny, «er hat ihn gelesen und gleich darauf den Saal verlassen.»
«Ah», sagte ich. «Das bedeutet Krieg.»
Ich trat auf den Balkon. Raketen schossen in die Luft, San Felice brannte noch immer. Das Volk tanzte. Sie tanzten, weil Carmona einen großen Sieg errungen hatte und weil der Krieg zu Ende war. Aber der Krieg fing erst an. Die Florentiner verlangten, ich solle Rivello den Manzoni wiedergeben; die Franzosen untersagten es mir. Besiegte ich Florenz mit Hilfe der Franzosen, so gab ich diesen Toscana; kämpfte ich gegen sie, so bedeutete das Carmonas Untergang, seine Versklavung durch Florenz. Welches Joch sollte ich wählen? Antonio war umsonst gestorben.
Gesichter wandten sich mir zu. Das Gemurmel der Menge verdichtete sich zu einem Ruf: «Es lebe Graf Fosca!» Sie jubelten mir zu, während Carmona verloren war.
Ich krampfte meine Hand fest um die Eisenstäbe. Wie oft hatte ich schon hier auf diesem Balkon gestanden, in Hoffnung, in Freude, in Furcht? Wozu soviel Leidenschaft, soviel Beängstigungen, soviel vergebliches Hoffen? Auf einmal erschien alles bedeutungslos: Frieden oder Krieg. Im Frieden würde Carmona weitervegetieren wie ein riesiger Schwamm.Im Krieg würden die Menschen zerstören, was vorher erbaut worden war und morgen wiederum aufgebaut werden würde. Auf jeden Fall würden die Leute, die hier tanzten, bald sterben, und zwar einen Tod, der ebenso unnütz war wie ihr Leben. San Felice in Flammen. Ich hatte Antonio in die Welt gesetzt, und er hatte sie wieder verlassen. Nichts wäre auf Erden anders, hätte ich nie existiert.
Hatte der Mönch doch recht? dachte ich. Kann man gar nichts tun? Meine Hände ballten sich. Ich existierte doch. Ich hatte einen Kopf, zwei Arme und vor mir die Ewigkeit.
«O Gott!» sagte ich. Ich schlug mich mit der Faust vor die Stirn. Sicher vermag ich etwas; ich kann doch
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