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Alle Menschen sind sterblich

Alle Menschen sind sterblich

Titel: Alle Menschen sind sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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es, daß du mir das alles gegeben hast, wenn du mir doch untersagst, etwas damit anzufangen? Vater», fuhr er beschwörend fort, «du selber hättest dich niemals mit einem solchen Leben abgefunden. Ich habe denken, argumentieren gelernt: aber wozu denn, wenn ich nur blind deinem Rat folgen soll? Habe ich meinen Körper nur dafür gestählt, um hinter den Hunden zu reiten?»
    «Ich weiß», sagte ich. «Du willst, daß alles einem Zweck dient.»
    «Ja.»
    Wie sollte ich ihm sagen: Nichts hat jemals einen Zweck. Die Paläste und Wasserleitungen, die neuen Häuser, die Schlösser, die eroberten Städte, alles das ist nichts. Er würde seine schimmernden Augen weit öffnen und mir sagen: Ich sehe diese Dinge, sie existieren doch. Vielleicht existierten sie für ihn. Ich warf das zerpflückte Reis unmutig auf den Boden. Alle meine Liebe konnte ihm nicht helfen.
    «Wie du willst», sagte ich.
    Seine Miene hellte sich strahlend auf. «Danke, Vater!»
    Er rannte davon, sein weißes Wams blitzte auf vor dem schwarzen Blattwerk der Eiben. Da wollte er nun sein Leben selbst in die Hand nehmen, in diese junge, ungeschickte Hand; aber konnte man dies Leben in ein Treibhaus sperren, um jegliche Gefahr von ihm abzuhalten? Erstickt und eingeschnürt würde es seinen Glanz und seinen Duft verlieren. In drei Sätzen war er die Treppe hinauf und im Hause verschwunden; jetzt eilte er durch die marmorne Halle, aber ich sah ihn nicht mehr. Ich dachte: Eines Tages wird alles genauso sein, und er wird nirgends sein. Dieselben düsteren Bäume würden unter demselben Himmel stehen, Lachen und Wasserspiele würden inhaltlos rieseln, und weder auf Erden noch am Himmel, noch auf den Wasserflächen würde Antonio die allerleiseste Spur zurückgelassen haben.
    Eliane trat zu mir und nahm meinen Arm. «Wir wollen zum Wasserfall gehen.»
    «Nein.»
    Ich wandte ihr den Rücken und ging dem Haus zu. Ich wollte Beatrice sehen; sie war die einzige, mit der ich sprechen und der ich zulächeln konnte, ohne dabei zu denken, daß auch sie eines Tages sterben würde.
    Ich öffnete die Tür zur Bibliothek; sie saß am Ende des Eichentischsund las; schweigend betrachtete ich ihr aufmerksames Profil; sie las, und ich war nicht da für sie. Ihr einfarbiges Kleid, ihre glatte Haut, ihre schwarzen Haare schienen hart und schimmernd wie eine Rüstung aus Stahl. Ich trat näher heran.
    «Immer beim Lesen?» sagte ich.
    Ohne Staunen blickte sie auf; es war schwer, sie zu überraschen. «Es gibt so viele Bücher.»
    «Zu viele und zu wenige.»
    Tausende von Manuskripten lagerten in den Regalen; Fragen und Probleme; man würde Jahrhunderte warten müssen, um die Antwort zu kennen. Warum wandte sie sich so eigensinnig diesem aussichtslosen Forschen zu?
    «Deine Augen sind müde. Komm lieber und bewundere die Wasserspiele mit mir.»
    «Ich gehe heute nacht, wenn niemand im Garten ist.»
    Sie glättete mit der Hand die Seite des Manuskripts. Offenbar wartete sie darauf, daß ich wieder ginge, und ich fand nichts zu sagen. Und dennoch hatte sie meine Hilfe nötig, und ich hätte ihr besser helfen können als alle diese Werke, die nicht vollendet waren. Aber wie sollte ich ihr geben, was sie nun einmal durchaus nicht erbitten wollte?
    «Willst du nicht deine Bücher einen Augenblick lassen? Ich möchte dir etwas zeigen.»
    Schließlich bat immer ich.
    Sie antwortete nicht, stand aber auf und lächelte mit einem kurzen Lächeln, das ihren Blick nicht erhellte. Ihre Züge waren hart, ihr Gesicht so mager, daß jedermann sie häßlich fand. Schweigend gingen wir durch lange Korridore; ich öffnete eine Tür.
    «Schau her.»
    Der Raum roch nach Staub und Ingwer, ein ungewohnter Duft nach Vergangenem in diesem neuen Haus. Die Vorhänge waren geschlossen, und gelbliches Licht überflutetedie beschlagenen Truhen, die aufgerollten Teppiche, Brokat- und Seidenballen.
    «Eine Ladung aus Zypern», sagte ich. «Sie ist heute morgen gekommen.» Ich machte eine Truhe auf; es funkelte darin von Gold und edlen Steinen. «Wähle.»
    «Was soll ich wählen?» fragte sie.
    «Alles, was dir gefällt. Sieh diese Gürtel, die Halsketten an. Möchtest du nicht ein Kleid aus dieser roten Seide?»
    Sie tauchte die Hand in die Truhe, so daß die Damaszenerklingen und Geschmeide klirrten.
    «Nein», sagte sie, «ich will nichts.»
    «Du würdest schön aussehen mit diesen Steinen hier.»
    Verachtungsvoll warf sie das Halsband, das sie in der Hand hielt, wieder in die Truhe zurück.
    In ihren Augen

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