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Alle Menschen sind sterblich

Alle Menschen sind sterblich

Titel: Alle Menschen sind sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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war; er forderte ihn auf, sich in Mailand die Krone der Lombardei auf das Haupt zu setzen und in Rom die Kaiserkrone, um endlich in Italien das alte Ansehen der Kaiser wiederherzustellen. Er übte einen Druck auf Venedig aus, indem er drohte, sich unter den Schutz des Königs von Frankreich zu stellen, der eben im Begriff schien, über die Alpen nach Hause zu ziehen. Schließlich schickten die Venezianer nun auch ihrerseits Boten an Maximilian und boten ihm Unterstützung an.
    Maximilian rückte in Italien ein, und alle kleinen Städte Toscanas erklärten sich zu seinen Bundesgenossen in der Hoffnung, er werde der Vorherrschaft von Florenz und vonCarmona nunmehr ein Ende bereiten. Er nahm die Belagerung von Livorno auf, das er zu Lande und zur See angriff. Bei dieser Nachricht wurde Carmona von furchtbarer Angst gepackt. Der Haß unserer neidischen Nachbarn, das Mißtrauen des Herzogs von Mailand ließ uns keine Möglichkeit, unsere Freiheit zu wahren, falls es Maximilian gelänge, sich zum Herrn von Italien zu machen. Nach der Einnahme von Livorno war ganz Toscana in seiner Hand. Die Florentiner hatten zwar eine gute Besatzung und starke Artillerie in die Hafenstadt entsandt und hatten vor kurzem die neuen Befestigungswerke noch erheblich verstärkt. Doch wurde Maximilian von der venezianischen Flotte und dem Landheer der Mailänder unterstützt. Als wir hörten, daß die Deutschen mit 400   Reitern und ebenso vielen Fußsoldaten in der Maremma vorrückten und schon über Cicina hinaus waren, ja sich des großen Fleckens Balgheim bemächtigt hatten, schien uns ihr Sieg gewiß. Unsere einzige Hoffnung war, daß die Truppen und die 6000   Scheffel Weizen, die Karl   VIII. der Signoria von Florenz versprochen hatte, ihr ohne Verzug geliefert wurden. Aber wir hatten gelernt, den Versprechungen der Franzosen nicht allzusehr zu vertrauen.
    «Zu denken, daß unser Geschick auf dem Spiel steht und daß wir ohnmächtig zusehen müssen, wie darüber entschieden wird», rief ich aus.
    Die Stirn an die Fensterscheibe gelehnt, spähte ich, ob nicht an der Wendung dem Straße ein Bote erscheinen würde.
    «Denke nicht daran», sagte Beatrice. «Es hat keinen Zweck, darüber nachzudenken.»
    «Ich weiß», sagte ich. «Aber man kann nicht hindern, daß man doch daran denkt.»
    «Doch!» sagte sie. «Gott sei Dank, man kann!»
    Ich blickte auf ihren gebeugten Nacken, der voller geworden war. Sie saß an einem Tisch, der mit Pinseln, farbigenPulvern und Pergamenten bedeckt war. Ihr schwarzes Haar war noch ebenso schön, doch ihre Züge waren verwischt und ihre Gestalt schwerer geworden; das Feuer ihrer Augen war jetzt ausgelöscht. Ich hatte ihr alles gegeben, was ein Mann einer Frau geben kann, und nun verbrachte sie ihre Tage damit, Manuskripte auszumalen.
    «Leg die Pinsel fort», sagte ich schroff.
    Sie hob erstaunt den Kopf.
    «Reite doch mit mir den Gesandten entgegen. Die frische Luft tut dir gut.»
    «Es ist zu lange her, daß ich auf einem Pferd gesessen habe», sagte sie.
    «Eben. Du kommst ja nie heraus.»
    «Ich fühle mich hier sehr wohl.»
    Ich machte ein paar Schritte durch das Zimmer auf sie zu.
    «Warum hast du dir dies Leben ausgesucht?» fragte ich.
    Langsam gab sie zurück: «Habe ich gewählt?»
    «Ich habe dir alle Freiheit gelassen», erwiderte ich verletzt.
    «Ich mache dir keine Vorwürfe», sagte sie.
    Von neuem beugte sie sich über ihr Malgerät.
    «Beatrice», sagte ich, «hast du seit Antonios Tod niemals mehr geliebt?»
    «Nein.»
    «Antonios wegen?»
    Es entstand ein Schweigen. Dann sagte sie: «Ich weiß es nicht.»
    «Warum sonst?»
    «Ich denke mir, daß ich nicht zur Liebe imstande war.»
    «Bin ich schuld daran?»
    «Warum quälst du dich?» sagte sie. «Du denkst zuviel. Du denkst viel zuviel.» Sie lächelte mich an. «Ich bin nicht unglücklich», sagte sie mit fast heiterer Stimme.
    Ich lehnte wieder die Stirn ans Fenster und versuchte,nicht nachzudenken: ihr Geschick hat sich ohne ihr Zutun entschieden, und das meine wird sich ohne meines entscheiden. Aber es gelang mir noch nicht, das Denken aufzugeben. Vielleicht war Maximilian jetzt schon in Livorno   … Rasch verließ ich das Zimmer, schwang mich auf mein Pferd und galoppierte bis zum nächsten Kreuzweg! Dort saß schon eine Menge von Menschen, die sich zu Fuß und zu Pferd hinausbegeben hatten; sie saßen am Straßengraben und spähten begierig die Straße hinab, die vom Meer heraufführte. Ich überquerte den Platz und ritt weiter

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