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Alle Menschen sind sterblich

Alle Menschen sind sterblich

Titel: Alle Menschen sind sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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liegt.»
    Cortés’ Erfolg, der Sieg von Pavia, die Verbindung mit Isabella schienen ihm ein sichtbares Zeichen zu sein, daß er den Willen Gottes erfüllt habe. Und wozu sich heute noch grämen um den Tod von ein paar roten oder schwarzen Herden? Acht Tage vorher hatte ich selbst die Einschiffung der Pflanzen und Tiere überwacht, die ich Cortés schickte, damit er sie in Westindien akklimatisierte. Eine Armada rüstete sich, unter Segel zu gehen nach der Neuen Welt; auf den Hafenquais häuften sich ungeheure Ballen von Kaufmannswaren auf, mit denen man die Galeonen und selbst die Kriegsschiffe beladen wollte. Es waren nun nicht mehr Soldaten, die diese Schiffe bestiegen: es waren Landleute, Kolonisten. Karl schickte nach Vera Cruz Dominikaner und Franziskaner,die sich um die Spitäler und Schulen kümmern sollten. Ich selber hatte dem toledanischen Arzt Nicolas Fernández große Kredite eröffnen lassen, damit er seine Expedition ausrüsten konnte; er führte Naturkundige mit sich, die den Auftrag hatten, die amerikanische Flora und Fauna zu katalogisieren, und Geographen, die neue Karten anfertigen sollten. Schiffe brachten den Kolonisten von Neu-Spanien Zuckerrohr, Stecklinge von Weinreben und Maulbeerbäumen, Eier von Seidenwürmern, Hühner, Hähne, Schafe, Lämmer; sie zogen dort bereits Maulesel und Schweine auf und bauten Orangen- und Zitronenbäume an.
    Karl legte seinen Finger auf den kleinen schwarzen Kreis, der Mexiko bezeichnete.
    «Wenn Gott mich so lange leben läßt, so will ich mit eigenen Augen dies Königreich sehen, das er mir schenkt.»
    «Wenn Sie es mir gestatten, gehe ich mit Ihnen», sagte ich.
    Einen Augenblick träumten wir schweigend Seite an Seite: Vera Cruz, Mexiko. Für Karl war es nur ein Traum: Westindien war so weit, sein Leben so kurz, aber ich würde jene Stätten sehen, was auch geschehen mochte. Mit einer heftigen Bewegung stand ich auf.
    Etwas erstaunt sah er mich an.
    «Ich möchte wieder nach Deutschland.»
    «Langweilen Sie sich hier schon?»
    «Sie haben doch beschlossen, den Reichstag einzuberufen. Worauf warten Sie?»
    «Sogar Gott hat sich am siebten Tage ausgeruht», sagte Karl.
    «Das war auch Gott», sagte ich.
    Karl lächelte. Er hatte kein Verständnis für meine Ungeduld. In ein paar Minuten würde er sich mit aller Sorgfalt für die abendlichen Feste umkleiden; er würde von einer riesigen Pastete speisen und Isabella zulächelnd schöne Musikanhören. Ich aber konnte nicht warten: zu lange schon wartete ich; endlich mußte jener Tag kommen, wo ich um mich blickend sagen konnte: Ich war zu etwas gut, dies habe ich getan. In dem Augenblick, wo meine Blicke auf den Städten ruhen würden, die durch meine Wünsche dem Herzen der Erde entrissen, auf jenen Ebenen, die bevölkert waren durch meine Träume, könnte ich wie Karl mich lächelnd in einen Sessel zurücklehnen; dann würde ich das Leben friedlich in meiner Brust pochen fühlen, ohne mich ungestüm der Zukunft in die Arme zu werfen; die Zeit würde sich dann um mich her erstrecken wie ein ruhiger großer See, über dem ich schweben würde wie Gott in seinen Wolken.
    Einige Wochen darauf zog ich wieder durch Deutschland. Es schien mir, daß ich jetzt dem Ziel nahe sei: der Bauernaufstand hatte die Fürsten erschreckt, jetzt mußte es möglich sein, die Frage der Lutheraner zu regeln und alle Staaten zusammenzubringen in einer Föderation. Dann konnte ich mich ganz der Neuen Welt zuwenden, deren Wohlstand sich auf den alten Kontinent großzügig ergießen würde. Ich blickte rings um mich auf das verwüstete Land. Schon fingen in den zerstörten Dörfern neue Häuser zu erstehen an, die Männer arbeiteten auf den brachliegenden Feldern, und unter den Türen standen Frauen mit Säuglingen auf dem Arm. Mit Gelassenheit betrachtete ich die Spur der Brände und des Blutvergießens. Was macht das schließlich? fragte ich mich. Die Toten waren nicht mehr, aber die Lebenden lebten; die Welt war immer noch ebenso voll. Und immer stand am Himmel noch die gleiche Sonne. Niemand war zu beklagen, und man konnte nicht wünschen, daß etwas nicht geschehen wäre.
     
    «Werden wir denn niemals damit fertig werden?» rief ich ungeduldig aus. «Werden uns denn immer die Hände gebunden sein?»
    Kaum in Augsburg angekommen, erfuhr ich, daß Franz   I., ohne seine Schwüre zu achten, sich mit Papst Klemens   VII., mit Venedig, Mailand und Florenz verbündet hätte, um den Krieg mit dem Kaiser wiederaufzunehmen; sogar mit den

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