Alle Menschen sind sterblich
auf den Landstraßen an, sondern nur Frauen und Kinder mit abgezehrten Gesichtern. Die Dörfer, Städte und Flecken der Aufständischen waren den Flammen übergeben, die Bauern an die Bäume gebunden worden und bei lebendigem Leibe verbrannt. In Königshofen hatte man sie wie eine Herde Wildschweine zusammengetrieben; sie hatten sich darauf in die Bäume geflüchtet, aber mit Piken und Musketen hatte man sie heruntergeholt; die Pferde überritten die, die auf den Boden fielen. In der Stadt Ingolstadt hatten sie 4000 Bauern getötet; einige hatten sich in die Kirche geflüchtet: sie wurden lebendig verbrannt; andere hatten sich im Schloß zusammengeschart, sie drängten sich aneinander, den Kopf ganz tief zu Boden gesenkt, als wollten sie soden Blicken entgehen und Gottes Erbarmen anflehen; keiner wurde geschont. Selbst jetzt war der Ingrimm der Adligen noch nicht völlig beschwichtigt; Folter und Hinrichtungen gingen immer noch weiter; noch immer verbrannten sie die unglücklichen Bauern, rissen ihnen die Zungen aus, schnitten ihnen die Finger ab oder stachen ihnen die Augen aus.
«Heißt das Herrschen?» fragte Karl.
Das Blut war ihm aus dem Antlitz gewichen, und sein Mundwinkel zitterte. Zwei Stunden lang hatte er mir schweigend zugehört; nun fragte er tief bedrückt: «Heißt das Herrschen?»
Auch in Spanien hatte man viel Blut vergießen müssen, um Aufstände niederzuschlagen. Der Druck hielt noch weiter an. In Valencia, in Toledo, in Valladolid rollten die Köpfe täglich zu Tausenden unter dem Beil des Henkers.
«Geduld», sagte ich. «Ein Tag wird kommen, wo wir das Übel auf der Erde ausgerottet haben werden. Dann fangen wir mit Bauen an.»
«Aber das Übel ist unser Werk», sagte er.
«Ein Übel erzeugt das andere», sagte ich. «Die Ketzerei ruft den Scheiterhaufen herbei, der Aufstand die Unterdrückung. All das wird ein Ende haben …»
«Wird es jemals enden?»
Den ganzen Tag über irrte er schweigend im Palast umher; gegen Abend, mitten im großen Rat, fiel er, von einer Nervenkrise gepackt, plötzlich auf den Boden; man brachte ihn mit Fieber zu Bett. Wie einstmals wachte ich Tag und Nacht an seiner Lagerstatt; aber ich wußte ihm diesmal kein Wort der Hoffnung zu sagen. Die Lage war furchtbar ernst. Das Glück hatte uns einen glanzvollen Heerführer geschickt, den Konnetabel Karl von Bourbon, der, mit dem König von Frankreich verstritten, seine Dienste dem Reich angeboten hatte; aber wir hatten seinen Verrat teuer bezahlen müssen; nun hatten wir kein Geld, und unsere erschöpftenTruppen drohten mit Meuterei; es fehlte uns auch an Artillerie; es war zu befürchten, daß wir aus Italien vertrieben würden.
Eine Woche lang hielt die Krankheit des Kaisers an. Er konnte gerade wieder aufstehen und ein paar zögernde Schritte durch die Räume versuchen, als im gestreckten Galopp ein eilender Bote erschien; die französische Armee war vollkommen aufgerieben, die Blüte des französischen Adels war zur Hälfte gefallen, der König gefangen in unserer Hand. Karl äußerte keine Silbe. Er zog sich in seine Gemächer zurück und versank in Gebet. Alsdann berief er seine Räte und erließ den Befehl, den Kampf an allen Fronten einzustellen.
Nicht ganz ein Jahr darauf, am 14. Januar 1526, wurde der Vertrag von Madrid unterzeichnet. Franz trat seine Rechte in Italien ab, er erkannte Karls Ansprüche auf Burgund an, zog sich von dem Bündnis gegen den Kaiser zurück und versprach diesem seinen Beistand gegen die Türken. Er ließ seine Söhne als Geiseln in des Kaisers Hand. Karl geleitete ihn in Person auf der Straße von Torrejon de Vilano einige Meilen hinter Madrid. Nachdem er ihm den Abschiedskuß gegeben, zog er ihn auf die Seite:
«Mein königlicher Bruder», sagte er, «Sie wissen, was vereinbart ist? Ist es Ihre Absicht, dies auch auszuführen?»
«Ich habe die Absicht», sagte Franz, «es bis aufs letzte auszuführen. Sollten Sie die Erfahrung machen, daß ich mich anders verhalte, so steht es Ihnen zu, in mir einen Bösewicht oder Verräter zu sehen.»
Ich selbst hörte diese Worte nicht, von denen Karl mir Kunde gab, als wir heimwärts ritten, aber ich sah das bezaubernde Lächeln, mit dem der König von Frankreich den Kaiser zum Abschied grüßte, und die vollendete Anmut, mit welcher er seinen federgeschmückten Hut durch die Luft bewegte: dann sprengte er weiter nach Bayonne.
Der Finger Karls V. glitt über den blauen Ozean und machte halt auf einem schwarzen Kreis:
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