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Alle Menschen sind sterblich

Alle Menschen sind sterblich

Titel: Alle Menschen sind sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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Handelsaufschwungs war. Das Gold, das die Konquistadoren mit dem Blut und Schweiß der Indianer bezahlten, floß in die alte Welt und bewirkte dort die Hausse in allen Waren. Mächtige Handelskompanien hatten sich gebildet, um Schiffe zu chartern und sich der Geschäfte zu bemächtigen; sie richteten nicht nur die kleinen Händler zugrunde, sondern holten aus den Waren im Laufe einiger Jahre das Doppelte und oft noch mehr an Gewinn heraus. Dieser zunehmende Reichtum führte zur Preissenkung für die Erzeugnisse der Landwirtschaft; das Geld verlor an Wert, und die Löhne sanken, während die Preise stiegen. Einzelne Leute häuften sinnlose Vermögen an und vergeudeten sie in ebenso sinnlosem Luxus, während die große Menge des Volkes nahezu Hungers starb.
    «Man müßte Verordnungen gegen die Monopole, den Wucher und die Spekulation erlassen», sagte Müller zu mir.
    Ich bewahrte Schweigen. Alle deutschen Fürsten vom Kaiser angefangen waren abhängig von den Kompanien, von denen sie unaufhörlich Geld zu Wucherzinsen borgten. Mir waren die Hände gebunden: Franz   I. hatte Navarra, Luxemburg und Italien angegriffen; Karl hatte gegen ihn die Waffen erheben müssen und flehte mich an, Geld aufzutreiben, damit er seinen Truppen den Sold bezahlen könne: unser Schicksal lag in den Händen der großen Kaufleute und Bankiers.
    Einige Wochen später brach in Forchheim in Franken offener Aufstand aus, der auf das ganze Reich übergriff. DieBauern forderten Gleichheit und Brüderlichkeit, Neuverteilung des Bodens; sie steckten Schlösser, Abteien und Kirchen in Brand, brachten Priester und Herren um und teilten unter sich die Krongüter ihrer Fürsten. Am Ende des Jahres hatten sie an allen Stellen die Überhand.
    «Es gibt nur ein Mittel», sagte Ferdinand, «man muß den Schwäbischen Bund einberufen.»
    Mit raschen Schritten durchmaß er den lichterstrahlenden Saal, und die Fürsten, die gekommen waren, ihn um Hilfe zu bitten, folgten seinem Tun mit achtungsvollen Blicken. In ihren Herzen war so viel Furcht und Haß, daß die Luft davon vergiftet schien. Draußen auf den Feldern hatten die Bauern Freudenfeuer entzündet; sie hatten Wein getrunken und sich satt gegessen, nun tobte die Flamme in ihrer Brust. Ich aber mußte an die niedergebrannten Häuser unserer Weber, an die von Schergen überrittenen Frauen und Kinder denken.
    «Die armen Leute!» murmelte ich vor mich hin.
    «Wie meinen Sie?» fragte Ferdinand.
    «Ich sage, es gibt nur ein Mittel.»
    Die Fürsten nickten zustimmend mit dem Kopf. Sie dachten einzig und allein an ihre eigensüchtigen Zwecke und überhäuften die Bauern mit Abgaben und mit Frondienst. Ich hatte im Sinn, auf Erden der Gerechtigkeit, der Vernunft zum Siege zu verhelfen, den Menschen das Glück zu bringen. Und dennoch sprach ich ebenso wie die anderen: es gibt nur ein Mittel. Es war, als wenn meine Gedanken und Wünsche, meine ganze Erfahrung und die Jahrhunderte, die ich nun schon lebte, gar nichts ausmachten auf der Welt. Gefesselt an Händen und Füßen. Ein Mechanismus war in Bewegung gesetzt, bei dem jedes Rad ein anderes trieb, und gegen meinen Willen mußte ich zu der Entscheidung kommen, zu der Ferdinand kam, zu der jeder beliebige andere auch gekommen wäre. Es gab nur ein einziges Mittel.
    Die Bauern hatten ihren flüchtigen Sieg der Überraschung verdankt sowie dem Umstand, daß die Herren vereinzelt auf ihren Schlössern saßen; sobald die Adligen sich wieder gefaßt und ihre Anstrengungen vereint unternommen hatten, war es ihnen rasch gelungen, der aufständischen Horden wieder Herr zu werden. Ich begab mich darauf in die Niederlande, um mich nach Spanien einzuschiffen, wo ich den Kaiser treffen wollte. Zu Pferde durcheilte ich die gleichen Tannenwälder, die gleichen Wiesen, das gleiche Heideland, durch das ich vor fünf Jahren geritten war, als ich die Anerbieten Karls den Kurfürsten überbrachte. Damals war mein Herz von Hoffnung geschwellt gewesen. Ich werde ein Kaiserreich in meiner Hand haben, dachte ich. Jetzt war es mir gelungen: ich war auf dem Gipfel der Macht. Aber was vermochte ich nun? Ich wollte die Welt von Grund auf neu erbauen und vergeudete Zeit und Kräfte damit, gegen Anarchie, Ketzerei, Ehrgeiz und Engstirnigkeit der Menschen anzukämpfen; statt aufzubauen, zerstörte ich. Durch verwüstetes Land ging mein Weg. Die Dörfer lagen in Asche, die Felder waren nicht bestellt, halbverhungertes Vieh trieb sich bei verkohlten Gehöften umher; man traf keine Männer

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