Alle Menschen sind sterblich
gerettet durch seine Schweizer Garden, die sich töten ließen bis zum letzten Mann, und begab sich in den Schutz des Prinzen von Oranien, der die Stelle des Konnetabel eingenommen hatte.
Auf den Balkons der Häuser sah man Leichen im Wind schwanken. Schwärme von großen blauen Fliegen summten um menschliches Fleisch, das auf den Plätzen verweste; die öligen Fluten des Tibers trugen Leichname mit sich fort; rote Lachen standen auf den Pflastersteinen, und blutige Fetzen lagen im Unrat der Gossen umher. Man sah Hunde, die gierig seltsame Dinge verschlangen, die grau und rosa aussahen. Die ganze Luft roch nach Tod. In den Häusern weinten die Frauen, aber die Soldaten johlten in den Gassen.
Meine Augen waren trocken, und ich sang nicht mit. Rom, sagte ich bei mir. Dieses hier ist Rom. Aber dieses Wort rührte nicht mehr an mein Herz. Ehedem war Rom eine Stadt, schöner und mächtiger als Carmona, und hätte man mir gesagt: «Eines Tages wirst du der Herr dort sein, deine Truppen werden den Papst verjagen und seine Kardinäle aufhängen», ich hätte gejauchzt vor Freude; später hatte ich Rom verehrt als die edelste Stadt Italiens, und hätte man mir gesagt: «Spanische Soldaten und deutsche Landsknechte werden kommen und seine Bewohner ermorden und seine Kirchen plündern», so hätte ich Tränen vergossen. Aber heute war Rom mir nichts mehr; ich sah in seinem Untergang weder einen Sieg noch eine Niederlage, sondern ein Ereignis, das jeden Sinn entbehrte. «Was liegt daran?» Allzuoft hatte ich schon diese Worte gesagt. Aber wenn in Asche gelegte Dörfer, Martern und Metzeleien keine Bedeutung hatten, was hatten dann neue Häuser, üppige Kulturen und das Lächeln der Säuglinge für einen Sinn? Welche Hoffnung war mir dann noch erlaubt? Ich konnte weder leiden noch irgend Freude empfinden: nichts als ein Toter war ich. Die Totengräber säuberten die Straßen und die Plätze, man wusch die Blutlachen auf, die Trümmer wurden abgetragen, und die Frauen kamen wieder verschüchtert aus den Häusern hervor, um vom Brunnen Wasser zu holen. Rom würde wieder erblühen. Aber ich war tot.
Tagelang schleppte ich diesen Tod durch die Straßen der Stadt! Plötzlich, eines Morgens, als ich am Tiber stand und die gedrungene Silhouette der Engelsburg betrachtete, fing jenseits von diesen Kulissen, aus denen das Leben entflohen war, jenseits der Leere meines Herzens etwas zu leben an; es lebte außerhalb von mir und doch in meinem Innern: der schwarze Duft der Eiben, eine weiße Mauerecke unter blauem Himmel, meine Vergangenheit. Ich schloß die Augen und sah vor mir die Gärten von Carmona, und in diesenGärten einen Mann, der vor Verlangen, Zorn oder Freude erbebte; ich war einst dieser Mann gewesen, dieser Mann war ich. Dort drüben, hinter dem Horizont, existierte ich mit einem lebendigen Herzen. Am gleichen Tag noch nahm ich Urlaub vom Prinzen von Oranien und ritt im Galopp davon.
Durch ganz Italien wütetete der Krieg. Auch ich hatte einst in diesen Tälern, in diesen Ebenen gekämpft: wir verbrannten die Ernten, wir verwüsteten ein paar Gärten, doch wenn der Frühling wiederkam, so waren schon die Spuren unseres Durchzugs verwischt. Die Franzosen aber und die Kaiserlichen richteten schonungslos diese Länder zugrunde, die ganz fremd für sie waren, sie hatten keinerlei Mitleid mit den armen Bewohnern; die Dörfer wurden in Asche gelegt, die Speicher von Grund auf zerstört, das Vieh wurde abgeschlachtet, die Dämme niedergerissen, die Felder unter Wasser gesetzt. Mehr als einmal sah ich am Wegrand Scharen von Kindern, die nach Gräsern und Wurzeln suchten. Die Welt wurde immer weiter, die Menschen vermehrten sich an Zahl, ihre Städte wuchsen, sie machten Wälder urbar und legten Sümpfe trocken, neue Werkzeuge gingen aus ihren Händen hervor; aber ihre Kämpfe wurden immer roher, und durch Mord und Blutvergießen kamen jetzt Tausende um: sie lernten im gleichen Maße zerstören, wie sie sich im Bauen vervollkommneten. Es schien, als sei eine launische Gottheit am Werk, die darauf bedacht war, zwischen Leben und Tod, zwischen Wohlstand und Elend ein unveränderliches, sinnloses Gleichgewicht zu halten.
Die Landschaft wurde mir vertraut: ich kannte noch die Farbe dieser Erde, das Aroma dieser Luft, den Gesang der Vögel; ich gab meinem Roß die Sporen. Ein paar Meilen von hier entfernt hatte ein Mann gelebt, der seine Vaterstadt mit heißer Zuneigung liebte, der den blühenden Mandelbäumen zugelächelt hatte, der
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