Alle Orte, die man knicken kann
aber Kopfprämien. Gemeinden lassen Hunde einfangen, in Säcke stopfen und auf Mülldeponien abwerfen. Wer ohne Hundefoto nach Hause kommt, könnte in Istanbul gewesen sein. Wer ohne Katzenfoto kommt, auf keinen Fall.
Unverdauliche Landesspezialitäten
Es soll Reisende geben, die zum zweiten Mal nach Istanbul reisen und sich ausschließlich von Gurke ernähren, geschält und gesalzen. Wer zum ersten Mal anreist, kommt um Gegrilltes nicht herum.
Ekmek Balikcisi
– gegrillte Makrele mit dreißig Zwiebelringen im Fladenbrot – ist die feige Variante. Mutige oder vielmehr Unwissende bekommen die authentische Fassung:
Kokorec
. Dieser Grillspießmuss über Holzkohlefeuer garen und heiß verzehrt werden. Möglichst erst am letzten Tag, wenn der Abtransport im Flieger ohnehin unmittelbar bevorsteht. Dieses Nationalgericht besteht aus Hammelleber, Hammellunge, Hammelherz, Hammelmilz und Hammelfettstücken. Der Darm des geschächteten Hammels wird nach außen gestülpt und fest um die aufgespießten Leckerbissen gewickelt. Gegen die drohende Ohnmacht hilft
Turkish Delight
, auch
Loukoumi
genannt. Diese Köstlichkeit besteht aus Stärkemehl, gekochtem Reis, Zucker und einem Baumharz namens Mastix. Die aus der Masse geschnittenen Würfel müssen laut Gesetz so gut kleben, dass das damit gezogene Zahngold noch am selben Tag im Basar verkauft werden kann. Vom Erlös kann sich der Klient bis zum Abflug mit einer Wasserpfeife (
Shisha
) voller Cannabis betäuben.
Das reicht für das Expertengespräch
Die Stadt als lebendig und pulsierend zu beschreiben kann nicht verkehrt sein. Ein Hinweis auf verfallende innerstädtische Bezirke bei gleichzeitigem Bauboom taugt als Einstieg in einen problemorientierten Abend. Fromme und fleißige Aufsteiger aus den kurdischen Slums bilden mittlerweile das neue Establishment. Niemand weiß, ob ihr Weg Richtung Islamisierung geht oder eher Richtung Neoliberalismus und ob beides womöglich vereinbar ist. Sicher scheint, dass die Kurden in absehbarer Zeit die Mehrheit in der Türkei stellen. Sie neigen zu Patriarchat und Kahlschlagsanierung. Fehlt noch eine Erwähnung der
privilegierten Partnerschaft
mit der Europäischen Union, dann reicht der Stoff für eine unterhaltsame Runde. Im Hintergrund kann die Diashow eigener Fotos vonMinaretten vor nächtlichem Himmel, von Katzen hinter rostigen Fenstergittern und von Sonnenuntergängen am Bosporus laufen. Extrem authentisch: eine englisch untertitelte Folge von
Yaprak dökümü
, der klassischen Herzschmerz-Endlosserie (traditionsbewusster Vater schüttelt den Kopf über die Welt seiner Kinder). Raki-gestützter Höhepunkt des geselligen Abends: Er legt
Sounds of Istanbul
auf, sie führt das neue Bauchtanz-Kostüm vor.
Das meinen Kenner
«Ein begabter Künstler kann es in Europa zu etwas bringen. In der Türkei wird er für verrückt gehalten.»
– Orhan Pamuk, Schriftsteller
«Wanderer, wende dich ab in Trauer.»
– Nigar Binti Osman, Dichterin
«Nee, echt toll hier.»
– Christoph Daum, Fußballer
V on den Felsenkirchen und phallusförmigen Wohnkegeln Kappadokiens gibt es eindrucksvolle Fotos. Kein Wunder, dass die Reisenden vor Ort stets enttäuscht sind. Für die bröckeligen Restemussten sie von Ankara oder Antalya den Staub Anatoliens durchqueren, gewöhnlich per Bus. Nach fünfhundert Kilometern auf Rumpelpisten hat dann auch der Letzte kapiert, warum Kappadokiens Wohnhöhlen so früh wie möglich von allen guten Geistern verlassen wurden.
Die staubigsten Denkmäler
Hattusa. Wer sich von Ankara aus nach Kappadokien müht, muss sich unterwegs mit der Betrachtung von Lehmziegelhäusern begnügen. Als Unterbrechung der endlosen Fahrt wird die Besichtigung niedriger Feldsteinmauern angeboten. Sie werden als Ruinen einer Stadt namens Hattusa ausgegeben, die von einem Volk bewohnt wurde, von dem man wenig weiß und noch weniger wissen will: den sogenannten Hethitern. Halbwegs erkennbar ist ein von steinernen Löwen bewachtes Tor. Sein Durchschreiten soll ältere Menschen vor langem Leben schützen.
Göreme. Hier werden die Fotos gemacht. Zu sehen sind sogenannte Feenkamine, versteinerte Penisse, Erdpyramiden und ausgehöhlte Tuffsteinkegel. Einige dienten als Wohnungen und Liebesnester inzestuöser Christengemeinden, andere als Bußkapellen, weitere als Leichenhallen. Täglich fünftausend Touristen suchen nach der schönsten Perspektive und kriechen über Leitern, Staubpfade und Geröllhänge. Orthopädische Praxen
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