Alle Orte, die man knicken kann
als bei den Sehenswürdigkeiten. Die Reiseleiter müssen ihre Provision eintreiben. Vor den Türen von Moscheen, Medresen, Mausoleen werden den Besuchern obendrein Kopftücher, Schnitzereien und Strümpfe aufgenötigt.
Karosserien im Taurus-Gebirge. Wer von Antalya aus nach Kappadokien fährt oder von Kappadokien zur türkischen Riviera reist, muss durch das Taurus-Gebirge. Die Schluchten werden gern als «wildromantisch» ausgegeben. Verdächtigerweise wird furchtsamen Reisenden zur Schlafbrille geraten. Nicht nur wegen der Serpentinen. Mehr noch wegen der Karosserien von zerschellten Urlauberbussen in den Abgründen. Sie werden nur an jedem ersten Dienstag im Monat geborgen.
Kappadokischer Abend. Wer in der Schule behauptet hat, er interessiere sich für die «Sitten und Gebräuche» fremder Völker, wird mit mindestens einem Heimatabend bestraft. Rund umGöreme gibt es Höhlenabende mit Raki und Erdnüssen, dazu Gestampfe in Kostümen, missgestimmtes Fiedeln und schwabbeliges Bauchschwingen. Die klobigsten Zuschauer werden dazu auf die Bühne gezogen, damit bei den anderen wenigstens Schadenfreude aufkommt. Einige dieser Abende sind erfreulich kurz. Siehe Stromausfälle.
Unverdauliche Landesspezialitäten
Als Vorspeise lockt die Joghurtsuppe mit Kichererbsen und durchgedrehtem Lämmerhirn. Letzteres, behaupten die Einheimischen, verbessere die Intelligenz. Dann wird gern Weißkohlauflauf mit Zwiebeln und Gehacktem gereicht. Dieser Leckerbissen war früher den Stammesältesten vorbehalten; sobald sie verdauten, verließen die anderen freiwillig die Wohnhöhle. Jetzt beliebte Waffe von Rucksacktouristen in überbelegten Herbergszimmern. Nachspeisen werden meist «nach Art des Hauses» zubereitet. Egal, welches Haus – sie schmecken alle gleich, denn sie bestehen ausschließlich aus Mehl und Sirup. Kenner kleben damit die ungummierten Briefmarken auf Ansichtskarten.
Das reicht für das Expertengespräch
Der britische Historiker Christopher de Bellaigue, der ein Buch über die Gegend geschrieben hat, stellte fest, dass bei Treffen von Gelehrten bereits wenige Schlagworte genügten: «Sowohl die hellenistische Zeit als auch die byzantinische haben großartigeSpuren hinterlassen», oder: «Was die Erosion aus dem Tuffstein für Formen geschliffen hat, das muss man einfach gesehen haben.» Reisende können noch mit einem Hinweis auf die Hethiter punkten, deren Keilschrift ja leider ziemlich unlesbar ist. Von aktuellem Problembewusstsein zeugt der Hinweis auf die Gefährdung der Fresken in den Höhlenkirchen durch Umwelteinflüsse.
Das meinen Kenner
«In diesen Gegenden bleibt nichts, als Zuflucht bei Gott zu suchen.»
– Mevlana Celaleddini Rumi, Mystiker
«Ohne Kappadokien könnte die Türkei schon sehr weit sein.»
– Mustafa Kemal Atatürk, Staatsgründer
«Wer wissen möchte, wozu nach dem Tod die verdammten Seelen verurteilt sind, der muss hierher reisen.»
– Charles Texier, Archäologe
Europa – Kurz und knickbar
Alanya, Türkei: Vorbild gelungener Integration: Tausende Russen, Deutsche, Dänen, Niederländer leben hier von heimischer Rente oder von Grundsicherung plus Schwarzarbeit. Die Türken akzeptieren die Schmarotzer mit Migrationshintergrund ohne Klage.
Albufeira, Portugal: Unverändert seit der portugiesischen Militärdiktatur: Sonnenschirme in Reih und Glied, patrouillierende Milizen, Touristen im Broiler-Modus, Neonbeleuchtung rund um die Uhr.
Amalfi, Italien: Preis des Verbandes italienischer Vespa-Fans für den knalligsten Moped-Sound in den widerhallenden Gassen, Gourmet-Gurke für die fettigste Pizza der Nation
Amsterdam, Niederlande: Autos nicht abschließen, sie werden ohnehin aufgebrochen. Aus den Fahrradreifen die Luft rauslassen, sonst ist das Rad weg. Sonst super Stadt! Hat immer noch die dreckigsten Hotels des Kontinents, bleibt aber Top-Adresse des Junkie-Tourismus.
Antalya, Türkei: Eine Wand gruseliger Hochhaushotels am Küstenstreifen. Im Hafenviertel und rund ums Minarett ist die Welt noch in Ordnung: Alte Männer schlürfen Mokka und sehen Frauen bei der Arbeit zu. Türkischer «Traditionspreis für Bewahrung alter Werte».
Arcachon, Frankreich: Ehemaliger Atlantik-Badeort, jetzt voller heruntergekommener Hotels und weitgehend von Austernzucht verseucht. Labormäuse, die von hier gefischten Austern kosteten, starben binnen weniger Stunden. Menschen halten länger durch.
Baia del Silenzio, Ligurien, Italien: Die Bucht der Stille wird
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