Alle Rache Will Ewigkeit
Funktion bereits einen Universitätspreis für ihr Team gewonnen. Sie war Mitglied des Komitees des Junior Common Room und kandidierte für die Position der Vorsitzenden.
Eine Freundin äußerte: »Das ganze College trauert. Alle mochten Jess. Es ist ein schrecklicher Schock.«
Charlie verzog den Mund zu einem spöttischen Grinsen. Dieses Zitat war offensichtlich erfunden. Wenn der Reporter tatsächlich mit einer Studentin von St. Scholastika gesprochen hatte, würde Charlie einen Besen fressen. Noch ärgerlicher als die peinliche Faulheit des Journalisten war allerdings, dass in diesem Artikel nichts zu finden war, was sie nicht schon wusste.
Sie blätterte die nächsten Tage durch, doch es gab keine weiterführenden Artikel. Die Gerüchteküche am St. Scholastika-College war in diesen Tagen gewiss äußerst angeheizt gewesen, doch für die Bürger Oxfords, die nichts mit der Universität zu tun hatten, war der Unfalltod einer Studentin kein vordringliches Thema. In dieser Hinsicht, fand Charlie, glich die Universität einem ichbezogenen kleinen Kind, das sich als Zentrum seines Universums sieht und nicht begreift, warum es für den Rest der Welt nicht genauso war.
Charlie entnahm die Filmrolle und legte die nächste ein, die die Wochen nach Jess’ Tod abdeckte. Als sie fündig wurde, überraschte sie die Überschrift der Meldung:
Tödlicher Unfall vermeidbar
Wie die Gerichtsmedizin Oxford gestern verlauten ließ, wäre der tragische Tod einer vielversprechenden Studentin durch eine simple Sicherheitsmaßnahme vermeidbar gewesen.
Jess Edwards ertrank im Cherwell, nachdem sie mit dem Kopf auf der Kante des Bootsstegs beim St. Scholastika College aufgeschlagen war. Hätte das College einen rutschfesten Bodenbelag verlegen lassen, wäre der Unfall vermutlich nie passiert.
Der zuständige Untersuchungsrichter David Stanton sprach von einem Unfalltod und führte weiter aus: »Es lässt sich nicht mit absoluter Sicherheit sagen, was an jenem Morgen auf dem Bootssteg passiert ist. Aber das forensische Beweismaterial lässt uns vermuten, dass Jess Edwards ausrutschte, mit dem Kopf auf der Kante des Bootsstegs aufschlug und ins Wasser stürzte. Es wurde dargelegt, dass sie fast mit Sicherheit bewusstlos war und infolgedessen ertrank.
Es liegt mir fern, das St. Scholastika College zu beschuldigen, aber es ist offensichtlich, dass es bei einem rutschfesten Bodenbelag vor Ort wohl nie zu einem solchen Unfall gekommen wäre. Ich empfehle allen Colleges und Ruderclubs dringend, die Gegebenheiten auf ihren Anlegestegen zu überprüfen.«
Nach der Verkündung der Untersuchungsergebnisse verlas der Familienanwalt der Edwards eine Erklärung der Angehörigen: »Wir haben keine Einwände gegen das Ergebnis der Untersuchungen. Zwar möchten wir uns den kritischen Anmerkungen des Pathologen anschließen, schreiben jedoch niemandem die Schuld für diesen tragischen Unfall zu.«
Auf die Ergebnisse der Gerichtsmedizin angesprochen, erklärte Wanda Henderson, die Direktorin des St. Scholastika College: »Jess Edwards’ Tod ist ein schwerer Schlag für dieses College. Wir haben die Sicherheitsbedingungen um das Bootshaus einer genauen Prüfung unterzogen, wesentliche Verbesserungen durchgeführt und auf allen Flächen im Freien rutschfeste Bodenbeläge verlegt. Der Familie der verstorbenen Jess möchten wir unser tiefstes Beileid ausdrücken.«
Und das war’s. Charlie verwunderte vor allem die Reaktion der Familie. Es war schließlich ein natürlicher Impuls, dass man nach dem Verlust eines Kindes einen Sündenbock zu finden versuchte. Viele hätten in der Lage der Familie Edwards nicht einfach akzeptiert, dass St. Scholastika keine Verantwortung am Tod ihrer Tochter übernahm, sondern von Schlamperei gesprochen und mit einer Klage gedroht. Das ließ auf eine bemerkenswerte Abgeklärtheit der Eltern schließen. Es konnte natürlich auch sein, dass ihre Mutter selbst einen Abschluss am St. Scholastika gemacht hatte und ihrer Alma Mater die übliche Loyalität entgegenbrachte. Wie auch immer, Charlie half das nicht weiter. Feindselige Verbitterung wäre vielleicht ein Ansatzpunkt gewesen, auch nach so vielen Jahren noch. Stille Akzeptanz war die gesunde Option, aber in dieser Angelegenheit wäre Charlie eine weniger ausgeglichene Reaktion lieber gewesen.
Seufzend schaltete sie das Lesegerät aus und brachte die Filme zurück zum Bibliothekar. Dann spazierte sie durch die Fußgängerzone zurück Richtung Carfax, dessen
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