Alle Rache Will Ewigkeit
hatte. Wie ich später erfuhr, wurde ich sechzig Meter unterhalb des Gipfels des Sgurr Dearg gefunden. Ich war dabei, mich qualvoll langsam den Berg hinunterzuschleppen. Man wickelte mich in Rettungsdecken, und ich schilderte stotternd, was passiert war. Eine der wenigen Einzelheiten, an die ich mich erinnere, ist der Blick, den zwei der Männer austauschten, als ich ihnen erzählte, dass ich das Seil hatte kappen müssen. Das Mitgefühl und die Traurigkeit ihrer Gesichter kann ich bis heute nicht vergessen. Ich wusste, dass man mich in der Öffentlichkeit für mein Handeln verurteilen und beschimpfen würde; aber diese beiden Männer verstanden, wie grausam der Berg sein kann, und hegten mir gegenüber keinen Groll.
Sie stützten mich rechts und links und brachten mich nach unten. Wenn Sie jemals für eine wirklich sinnvolle Sache Geld spenden möchten, sich aber nicht sicher sind, wem Sie es geben sollen, dann tun Sie mir bitte den Gefallen und lassen es der Glen Brittle Bergwacht zukommen. Diese Jungs sind unglaublich. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, rücken sie in der Dunkelheit und im dichtesten Schneetreiben aus, um einem fremden Menschen zu helfen. Diese Art von Mut kommt in der modernen Welt eher selten vor. Hätte es diese Leute nicht gegeben, wäre ich heute nicht mehr am Leben.
Damals schien es mir allerdings ein zweifelhaftes Vergnügen, am Leben zu sein. Kathys Tod war ein schrecklicher Schlag für mich. Der Verlust einer Freundin, meiner Partnerin mit viel Geschäftssinn, meiner Begleiterin bei der Arbeit – all das war nicht leicht zu verkraften. Aber man ließ mich nicht in Ruhe trauern. Die Ereignisse auf dem In-Pinn wurden zu einem Medienereignis. Als Inhaberinnen einer der führenden britischen Dotcom-Firmen waren wir es gewohnt gewesen, uns im Wirtschaftsteil wiederzufinden. Es war uns nicht unrecht gewesen, denn wir waren stolz auf das, was wir erreicht hatten.
Doch das hier war etwas ganz anderes. Jeder Kletterunfall, bei dem jemand aufgrund eines gekappten Seiles zu Tode kam, wäre für einen Tag auf die Titelseiten der meisten Zeitungen gekommen. Doch in Anbetracht dessen, wer wir waren und zu welchem Zeitpunkt sich der Vorfall zutrug, versprach man sich von der Story eine längerfristige Ausbeute. Ich musste also mit einem Rudel sensationslüsterner Journalisten fertig werden, die sich nicht schlüssig waren, ob ich eine tragische Heldin oder eine bösartige Übeltäterin war.
Als wäre das alles noch nicht genug, steckte ich auch noch in wichtigen Geschäftsverhandlungen. Kathy und ich hätten es uns eigentlich gar nicht leisten können, nach Skye zu verschwinden, denn wir waren kurz davor, die wichtigste geschäftliche Entscheidung unserer Karriere zu treffen. Es wusste zwar niemand außer uns beiden und unseren Verhandlungspartnern davon, doch Kathy und ich waren gerade dabei gewesen, doitnow.com zu verkaufen. Ich hatte bereits mehrere geheime Treffen mit Joshua Pitt, dem Geschäftsführer von AMTAGEN , gehabt, und der Deal war mehr oder weniger unter Dach und Fach. Da hatte das Wetter Kathy und mir die perfekte Gelegenheit für die Tour geboten, von der wir immer geträumt hatten. Im Interesse unserer Mitarbeiter war ich jetzt einfach gezwungen, den Geschäftsabschluss weiter voranzutreiben, auch wenn Kathy nicht mehr am Leben war. Das Problem war, dass Kathy die Hälfte von doitnow.com gehört hatte. Wir hatten beide ein Testament hinterlegt, in dem wir uns gegenseitig die entsprechende Firmenhälfte hinterließen. Doch Erbschaftsangelegenheiten brauchen ihre Zeit. Unsere Firmenanwälte mussten Kathys Testamentsvollstrecker davon überzeugen, dass es im Interesse der Erbin sei, wenn die Firmenanteile verkauft wurden. Obwohl absurderweise diese Erbin die gleiche Person war, die sie zu überzeugen versuchte, die Anteile zu verkaufen … Manchmal kam ich mir vor wie Alice im Wunderland. Niemals hatte ich im Leben unter größerem Druck gestanden.
Doch noch schlimmer war, dass ich keine Zeit hatte, in Ruhe zu trauern. Ich wollte meine rasende Wut über den Verlust herausschreien, wollte über den sinnlosen Tod weinen und den Moment der Unachtsamkeit verfluchen, der Kathy das Leben gekostet hatte. Gleichwohl musste ich mich vor den Leuten von der Presse, den Anwälten und auch den Interessenten gegenüber, die meine Firma kaufen wollten, von meiner besten Seite präsentieren.
Noch heute denke ich manchmal, dass ich nie wirklich Zeit gehabt habe, die Sache mit Kathy zu
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