Alle Rache Will Ewigkeit
mittelalterlicher Turm nicht so recht zu den modernen Geschäftsfassaden der Gegend passte. Schon jetzt war sie in einer Sackgasse angelangt. Sie musste unbedingt den Obduktionsbericht einsehen, aber man hatte ihr auf ihren Anruf hin mitgeteilt, dass dies ohne Erlaubnis durch Jess Edwards’ Familie nicht möglich sei. Da sie diesmal keinen offiziellen Auftrag hatte, war diese frustrierende Erfahrung völlig neu für Charlie.
Sie ging den Cornmarket hinunter und bog in die Banbury Road in Richtung St. Scholastika. Ihren Wagen hatte sie in einer kleinen Seitenstraße abgestellt, gleich hinter der Grenzlinie, ab der die innenstädtischen Parkbeschränkungen nicht mehr galten.
Im Gehen überdachte sie ihre beengten Möglichkeiten. Sie wollte sich ihre Niederlage einfach nicht eingestehen, hatte aber auch nicht die geringste Idee, wie sie in der Sache Jess Edwards weiterkommen könnte. Vielleicht sollte sie einfach akzeptieren, dass sie mit diesem Todesfall Jay Stewart nicht festnageln konnte. Und wenn es sich so verhielt, dann war es eigentlich sinnlos, noch weiter Zeit in Oxford zu verschwenden. Sie hatte gehofft, auf etwas zu stoßen, das sie lange genug hier halten würde, dass sie Lisa wieder treffen konnte. Aber ohne weitere Ansatzpunkte vor Ort auszuharren, das konnte sie vor sich selbst nicht rechtfertigen.
Immerhin konnte es nicht schaden, einfach mal bei Lisas Haus vorbeizufahren und vielleicht auf gut Glück reinzuschauen. Schließlich war es Mittagszeit, und selbst Lisa musste irgendwann etwas essen.
Charlie umfuhr das Stadtzentrum und war in Windeseile in Iffley angekommen. Als sie am Haus vorbeifuhr, war sie enttäuscht, neben Lisas Audi noch einen weiteren Wagen in der Einfahrt stehen zu sehen. Vielleicht blieb der Besucher ja nicht ewig. Charlie fand einen Parkplatz, von dem aus sie Lisas Haustür im Blick hatte, und beschloss zu warten.
In der Zwischenzeit ging sie ihre nächsten Handlungsschritte durch. Offensichtlich war Kathy Lipsons Tod auf Skye der nächste Ansatzpunkt. Zu diesem Thema würde online viel Material zu finden sein, aber sie musste tiefer graben und mit jemandem sprechen, der nachvollziehen konnte, was wirklich passiert war. Das hieß wahrscheinlich, dass sie eine Fahrt auf die Insel unternehmen musste. Langsam wurde die Sache teuer. Charlie fragte sich, ob Corinna diesen Aspekt ihrer Bitte überhaupt bedacht hatte.
Andererseits würde sie Corinna verpflichtet sein, wenn sie Geld von ihr annahm, selbst wenn es nur um Spesen ging. Wenn Corinna für die Ermittlungen zahlte, hatte sie ein Anrecht, die Ergebnisse zu erfahren. Und Charlie wollte die Kontrolle über das, was sie herausfand, nicht abgeben. Vor allem wollte sie nicht von Corinna zum Schweigen über bestimmte Ermittlungsergebnisse verdonnert werden. Sie hatte Corinna einmal sehr bewundert, doch das hieß nicht, dass sie ihr immer noch vollständig vertraute. Charlie beschloss also, ihre Rehabilitierung aus eigener Tasche zu finanzieren. Jetzt musste sie nur eine Möglichkeit finden, an die Informationen heranzukommen, die ihr weiterhelfen konnten.
Sosehr sie auch versuchte, sich eine Strategie für den nächsten Ermittlungsabschnitt zu entwerfen, ihre Gedanken kehrten immer wieder zu Jess Edwards zurück. Der Gedanke, dass Jay Stewart möglicherweise einen perfekten Mord begangen hatte, beunruhigte Charlie. Dass sie mit dem Fall nicht weiterkam, erbitterte sie.
Das Klingeln ihres Mobiltelefons riss sie aus ihren Gedanken. »Maria« zeigte das Display an. Ihr war nicht wohl dabei, einen Anruf von ihrer Partnerin entgegenzunehmen, während sie das Haus ihrer potenziellen Liebhaberin belauerte. Aber sie nahm das Gespräch an. Ihr »Hi!« klang genauso matt, wie sie sich fühlte.
»Ich bin gerade mit meiner Patientenliste für heute Vormittag fertig geworden und dachte mir, ich melde mich mal. Wie läuft es denn?«
Maria, gut gelaunt und stets auf der Höhe. Sie hatte Charlie immer in Schwung gehalten.
»Ich stecke in einer Sackgasse«, antwortete Charlie. »Die Zeitungsberichte geben nichts her, was ich nicht schon weiß. Der Obduktionsbericht befindet sich in den entsprechenden Archiven, und als Unbeteiligte habe ich keine Möglichkeit, da dranzukommen.«
»Du Ärmste! Und was ist mit der Polizei?«, fragte Maria.
»Ich habe gar nicht erst versucht, bei denen etwas zu erreichen. Da erinnert sich doch kein Mensch mehr daran, wer für einen Unfalltod vor siebzehn Jahren zuständig war. Es hatte ja offiziell nie die
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