Alle Singen Im Chor
umzubringen?»
Jyri starrte mich entsetzt an. Dann sprang er auf.
«Ich hab ihn nicht umgebracht! Am Freitag war er wieder ganz normal und hat kein Wort über die Sache verloren, und ich dachte, er war nur mal ’nen Moment nervös. Aber das Wettrennen hat mir schon Angst gemacht, das war, als ob er mich wirklich in den Graben drängen wollte … vielleicht sollte das ’ne Drohung sein. Aber umgebracht hab ich ihn nicht, Maria, so was könnt ich gar nicht tun. Du glaubst mir doch?» Er hatte Ähnlichkeit mit einem Hündchen, als er mich jetzt anschaute wie ein kleines Tier, das von einem größeren, übermächtigen Gegner angegriffen wird. Aber ich durfte nicht nachgeben.
«Jukkas Tod kam für dich aber genau zur rechten Zeit», blaffte ich ihn an. Ich brachte es nicht fertig, einen freundlicheren Ton anzuschlagen, dazu erinnerte Jyri mich viel zu sehr an Pete. Die gleichen treuen Hundeaugen, der gleiche gedankenlose Umgang mit Geld. Pete war einer meiner Exfreunde. Ich hatte über die Summen, die ich ihm geliehen hatte, nie Buch geführt, aber von dem, was ich in meinem ersten Jahr bei der Polizei verdiente, hatte Pete sicher die Hälfte in die Kneipen des Stadtteils Kallio, wo wir damals wohnten, getragen. Dann machte er Zivildienst, wo er zu der Erkenntnis kam, er könne nicht mit einer Polizistin zusammen sein, weil sie die etablierte Gesellschaft repräsentiere. Ich hatte ein paar Wochen um ihn geweint, danach aber hauptsächlich dem verlorenen Geld nachgetrauert.
Jyri hatte sich wieder ans Fenster geschleppt, als wäre er am liebsten geflohen. Ich hielt es nach wie vor für möglich, dass er der Täter war, obwohl das Motiv zugegebenermaßen auf schwachen Füßen stand.
«Erinnerst du dich überhaupt so genau, was Samstagnacht passiert ist?»
«Du meinst, ich hätt Jukka umgebracht und wüsste es nicht mehr? Mach keine Witze. Willst du mich verhaften?»
Jyris Stimme schlug in ein schrilles Falsett um, die Hand, die die Zigarette hielt, zitterte heftig. Das weltmännische Gehabe war restlos von ihm abgefallen.
«Wenn ich genügend Beweismaterial beisammen hätte, würdest du jetzt schon in Pasila sitzen, aber lassen wir es vorläufig gut sein», sagte ich maliziös. «Dafür könntest du mir aber erzählen, wem Jukka sonst noch Geld geborgt hat.»
Jyri ging in die Kochnische und öffnete den Speiseschrank, in dem hauptsächlich Flaschen zu stehen schienen. «Einen Whisky kann ich ja wohl trinken», murmelte er. «Du auch, oder bist du im Dienst?»
«Einen kleinen», sagte ich, obwohl ich besser abgelehnt hätte. Aber vielleicht würde Jyri ja offener reden, wenn ich mittrank.
«Davon weiß ich eigentlich nichts … Obwohl, Jukka hatte viel mehr Geld als alle anderen, die ich kenne, war schon mit dem Studium fertig und hat gut verdient … Bestimmt haben wir uns alle ab und zu was von ihm geliehen, also in der Kneipe zum Beispiel, wenn uns da das Geld ausging, dann hat Jukka seine Visa-Karte gezückt. Die Tuulia hat mal gesagt, sie würde Jukka viel schulden, aber das klang eher nach Dankesschuld. Vielleicht hat Jukka ihr geholfen, Arbeit zu finden oder so was. Mit Timo hatte er wohl auch irgendwelche Geldgeschichten laufen …»
«Was für welche?»
«Weiß ich nicht so genau, da musst du Timo fragen.» Sein verschlagener Gesichtsausdruck ließ mich vermuten, dass er mehr wusste, als er zugab. «Ich glaub allerdings, dass Mirja die Mörderin ist», setzte er hinzu und goss sich den zweiten Whisky ein. Ich hatte erst einen Schluck getrunken, obwohl an Jyris Ballantine’s nichts auszusetzen war.
«Mit welcher Begründung?»
«Na, weil sie so wahnsinnig ruhig ist. Als ob sie was wüsste. Ich hab allerdings keine Ahnung, warum sie gerade Jukka umgebracht hätte. Antti ist doch der, in den sie verknallt ist.»
Schon wieder dieser Hinweis auf Mirja und Antti. Ich hasste die Vorstellung, die beiden nach ihrem Liebesleben ausfragen zu müssen.
«Was wird eigentlich aus deinem Spiel, wenn du jetzt Whisky trinkst?»
«Wir haben doch immer Bier dabei, das macht beim Kyykkä-Spielen überhaupt nichts aus. Du scheinst nicht viel davon zu wissen! Außerdem glaub ich nicht mal, dass wir heute groß spielen, wahrscheinlich bereden wir, was wir bei Jukkas Beerdigung singen. Die ist nächste Woche Samstag, wusstest du das schon?»
«Natürlich.» Die Technik und die Pathologen hatten die Untersuchungen an Jukkas Leiche heute abgeschlossen, und der Tote war den Angehörigen übergeben worden. Einige Ergebnisse
Weitere Kostenlose Bücher