Alle Sorgen sind vergessen
schloss die Augen und hielt den Atem an, bis sein Mund an ihrem Ohr innehielt.
„Lernen. Warum?“
„Gönn dir eine Pause. Ich möchte dir etwas zeigen.“
Ihr Blick wurde ein wenig klarer, aber sie löste sich nicht von ihm. „Was denn?“
„Eine Überraschung. Ich kann es dir nicht sagen, du musst es selbst sehen.“ Sie zögerte. „Komm schon“, murmelte er. „Wenn ich dich nach Hause bringe, helfe ich dir bei deinen Übungsaufgaben.“
Mit der Nasenspitze streichelte er die Stelle unterhalb ihres Ohrs. Seufzend legte sie den Hinterkopf an die Tür.
„Na gut.“ Ihre Stimme klang matt. „Aber ich kann nicht lange wegbleiben. Ich muss heute wirklich etwas tun.“
„Abgemacht.“ Er küsste sie noch mal auf den Mund und machte widerwillig einen Schritt nach hinten. „Zieh deinen Mantel an, es ist kalt draußen.“
Minuten später saßen sie in einem Taxi.
„Erzählst du mir jetzt endlich, wohin wir fahren?“
„Zu mir.“ Lächelnd strich er mit einer Fingerspitze über die beiden Falten zwischen ihren Augenbrauen. „Aber ich kann dir nicht sagen, worin die Überraschung besteht. Du wirst warten müssen, bis wir dort sind.“
Ihr Blick war wachsam, wie immer, wenn in ihren Augen keine Leidenschaft wahrzunehmen war.
„Vertrau mir. Es wird dir gefallen.“
Sie wirkte nicht überzeugt, aber sie verbrachten die Taxifahrt damit, über ihre Woche, den Verkehr, das Wetter und diverse andere unverfängliche Themen zu reden. Jorge merkte, wie Allison sich verspannte, als sie ausstiegen und sein Apartmenthaus betraten. Sie war still, als sie den Fahrstuhl bestiegen, und auf dem Weg in den neunzehnten Stock spürte er, wie verunsichert sie war.
„Nach dir.“
Vor ihm verließ sie die Kabine, und er berührte ihren Arm, um sie nach links zu führen. „Hier entlang.“
Am Ende des Korridors schloss Jorge eine Tür auf und ließ ihr den Vortritt.
„Es ist nicht sehr gemütlich“, meinte er, während sein Blick ihrem folgte. Seine Wohnung war für ihn nur ein Ort, um zu schlafen, zu essen und zu arbeiten. Ein Mal in der Woche kam ein Reinigungsdienst, so dass sie sauber und aufgeräumt war. Aber als er Allison folgte, sah er es mit ihren Augen und stellte fest, wie steril alles war. Auf dem Kirschholzregal, in dem der Videorekorder, der DVDPlayer und die ultramoderne HiFiAnlage standen, stapelten sich die Kassetten mit Aufnahmen von Gerichtsverhandlungen. Das Ledersofa und die Ottomane neben dem bequemen Sessel waren mit Akten bedeckt.
An den weißen Wänden hingen keine Fotos, Bilder oder Poster. Das Beste an dem Raum war das große Fenster mit Blick auf die Upper West Side.
Allison hatte noch kein Wort gesagt. Sie stand mitten auf dem Teppich, und ihr Blick wanderte langsam umher. Jorge fragte sich, was sie wohl dachte. Ihre Miene verriet es nicht. Sie merkte nicht, dass er auf ihr Profil starrte. Auf ihre sanft geschwungenen Brauen, das rotbraune Haar, die kleine Nase, die vollen Lippen und das zarte, aber energische Kinn. Sein Herz schlug schneller. Am liebsten hätte er sie auf die Arme genommen und ins Schlafzimmer getragen. Er wollte sie wieder in seinem Bett, nackt und willig und genauso verrückt nach ihm wie er nach ihr.
Allison drehte sich um. Ihre Blicke trafen sich kurz.
„Du kannst alles ändern, was du willst“, bot er an und zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Ich wollte immer mehr Möbel kaufen und Bilder aufhängen, aber ich bin nie dazu gekommen.“
„Es ist viel geräumiger als bei mir“, erwiderte sie diplomatisch.
„Wenigstens etwas, stimmt.“ Er lächelte trocken, und sie erwiderte es zaghaft.
Das gab ihm den Mut, zu ihr zu gehen, ihre Hand zu ergreifen und sie über den kurzen Korridor zu führen. „Die anderen Zimmer sind kleiner. Das hier ist das große Schlafzimmer.“ Er zeigte auf eine offene Tür. In dem Zimmer standen ein breites Bett, ein Nachttisch und eine Kommode.
„Ein Badezimmer geht davon ab, das zweite Bad ist hier.“ Er blieb stehen und ließ sie in ein großes Bad mit weißen und dunkelblauen Kacheln schauen, bevor er weiterging. „Und hier könnten wir das Kinderzimmer einrichten.“
Er schob eine Tür auf und zog Allison mit sich. Ihr Blick fiel auf einen Schaukelstuhl und den großen Teddy, der ihn fast ausfüllte, und Jorge sah, wie ihre Augen groß wurden. Sie schloss ihre Hand fester um seine, ihr Lächeln kam von Herzen, ihr Blick wurde weich, und die übliche Wachsamkeit verschwand daraus.
„O Jorge.“
„Gefällt er
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