Alle Tage: Roman (German Edition)
ausgeblichenen Jeans gegen seine drückend. Er klebte schon an der Klotür, jetzt führt kein Weg mehr hinaus, sie mussten da bleiben, gepresst in der Ecke. Sie lehnte an ihm und lachte. Aufsteigende Alkoholfahne.
Wärst du mal in deinem Kloster geblieben, Abelard, hättest du’s jetzt bequemer.
Sie hackte so lange auf diesem Seminaristenthema herum, bis er ihr, nicht barsch, nur gesättigt, mitteilte, er möchte sich, wenn’s möglich wäre, nicht über Religion unterhalten.
Hier entstand wieder ein bisschen mehr Raum, sie konnte von ihm abrücken, ihn mustern.
Schauschau, der kleine Heide. Wild lodert das Feuer seiner Augen unter der dunklen Brücke seiner Brauen.
Darauf kann er wieder nichts sagen. So ein Achtzehnjähriger.
Neunzehn.
Name?
Abel. … Nein, wirklich, das stimmt.
Sie goss sich etwas Schnaps auf die Finger und, was tut sie da?, besprenkelte den verblüfften Jüngling. Ich taufe dich hiermit feierlich auf den Namen Abel Ausdemdickicht, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes!
Mit Schnaps getauft in einem überfüllten Nachtzug. Er kniff die Augen zusammen. Sie wischte ihm einen Tropfen von der Nasenspitze.
Übrigens: Ich bin Kinga. Das bedeutet: die Kämpferin. Heute, das heißt, gerade jetzt, seit einer Minute, ist mein Namenstag, und ich habe meine Freunde, drei Musiker, irgendwo hier im Zug verloren, so bleibst mir also nur du, um auf meine Gesundheit anzustoßen. Auf meine Gesundheit! Ich möchte sehen, dass du trinkst! Das ist ein Mann!
Später, noch nicht einmal auf halber Strecke, stieg er aus, um jemanden namens Bora zu suchen. Kinga winkte aus dem Zugfenster: Bis nach dem Krieg um sechs!
Später fragte er sie, ob sie sich erinnern könne, was damals ihre letzten Worte zu ihm waren.
Ich rede viel, wenn der Tag lang ist.
Bepackt mit Reisetaschen und mit ihr schwankte er jetzt. Ein Plastikleguan, den sie im Ausschnitt trug, drückte gegen seine Brust, aus dem roten Plastikmaul spritzte ihm wasserklare Flüssigkeit in den Kragen. Sie lachte, leckte ihn ab, ihre breite, dunkle Zunge glitt über seinen Hals. Später würde es sich dennoch klebrig anfühlen. Jedes Mal, wenn er den Kopf bewegte.
Sie sprang ab, hielt ihm die Flasche an den Mund: Wo warst du so lange? Hier, trink! Zerrte ihn dabei aber schon hinter sich her, sie stießen sich an den Umstehenden, grlgrl, Flaschenhals auf Zahnschmelz aufschlagend. Wie kann es nur so voll sein, man sieht praktisch nicht, wo man ist, irgendwo sind blinde Fensterscheiben, als wären sie schwarz gepinselt, aber es ist nur die Nacht und der Dunst all dieser Leute. In der Küche stand einer, sein Name ist Janda, ein Gesicht, als hätte er seit drei Tagen nicht geschlafen, Zigarette im Mundwinkel, rührte in einem Topf, ließ von weit oben rotes Pulver hineinschneien. Einiges davon flog in Augen, Nase, Mund der Ankommenden. Kinga hustete.
Sie sind erst heute früh angekommen! (Hustet.) Seit drei Tagen nicht geschlafen, zuletzt auf einer Hochzeit gespielt, wannenweise das Zeug abgefasst, Fleisch, Getränke, echte Gewürze! Sie könnten auch heute spielen und Geld verdienen, aber sie tun es nicht, denn die Sylvesternacht gehört dem Café Anarchia, also: mir!
Hallo, sagte Abel.
Nabend, sagte Janda. Die Zigarette wackelte, Asche fiel in den Topf, er verrührte sie.
Jessas! kreischte Kinga, die erst jetzt Abels Mund sah. Wie siehst du aus?! Wie Dracula! Was ist mit deinen Zähnen?
Ganz vergessen, dass die Zähne auch heute schwarz waren, die ganze Zeit schwarz.
Was ist passiert, hier, spül noch mal!
Als merkte sie erst jetzt, dass er mit Sack und Pack dasteht.
Wieso hast du deine Sachen dabei?
Kann ich für einpaar Tage bleiben?
Warum? Was ist das? Sie drehte seine Handflächen nach außen. Schwarze Fingerkuppen. Was hast du angestellt?
Nichts. Erkennungsdienstliche Behandlung.
Jetzt schauten ihn alle an, das heißt die drei Leute in der unmittelbaren Nähe. Janda hatte wohl noch Paprika in den Augen, er blinzelte.
Wieso?
Ein Versehen.
Und wieso hast du’s an den Zähnen? Haben sie dich Tinte trinken lassen?
Nein, das ist ein Verfahren in der Phonologie.
Pause.
Na los, er soll sich nicht alles aus der Nase ziehen lassen!
Er kann gar nichts weiter erzählen. Die Geschichte der vergangenen zwei Tage in der Zusammenfassung. Er hat während der ganzen Zeit nicht herausbekommen, worum es eigentlich ging. Und dann habe ich meinen Mitbewohner zurückgelassen, um ungestört gehen zu können. Das erzählt er
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