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Alle Tage: Roman (German Edition)

Alle Tage: Roman (German Edition)

Titel: Alle Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terézia Mora
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Schönheit eines verzweifelten Vaterlandes zu sprechen, sei die Pflicht eines Dichters, dem jeder zweite Zahn fehlt. Schönheit trotz Verzweiflung, Verzweiflung trotz Schönheit. Das Fleisch, erzählte der Reisende, ist unidentifizierbar. Ich meine: welches Tier.
    Die Japaner, sagte einer der ehemaligen Studenten, sein Name ist Erik, er hat gerade seinen Verlag gegründet und ist immer unheimlich gut im Bilde , die Japaner, sagte er, haben ein Enzym erfunden, mit dessen Hilfe man zerstückeltes Fleisch wieder zu einem Stück zusammenfügen kann. Es sieht aus wie normales Fleisch. Abgesehen davon, dass man nicht sagen kann, um welches Körperteil welchen Tieres es sich handelt.
    Der Albanienbesucher nickte: Es ist zäh und riecht nicht sehr gut. Der Dichter mit den Zahnlücken hatte ein Gedicht in seiner Muttersprache vorgelesen. Ich verstand kein Wort. Aber da waren wir schon so betrunken. Wir weinten zusammen.
    Oh, sagte Omar. Warum?
    Seinem Großvater entfuhr ein kleines Lachen. Der Albanienbesucher, sein Name ist Zoltán, aber das ist unwichtig, schaute sie, erst den einen, dann den anderen, verstört an.
    Ich bitte dich, flüsterte Miriam ihrem Mann zu (seitdem das Kind dabei sein durfte, kam sie auch manchmal), ich bitte dich, reiß dich zusammen.
    Wieso? Ich hab nichts gemacht.
    Miriam wiegte den Kopf: Bis Mitternacht müssen wir auf jeden Fall bleiben.
    Wieso?
    An dieser Stelle klingelte das Telefon im Flur.
    Sofort, sagte Mercedes und ging nach nebenan, um Tibor zu holen.
    Verstehe, sagte Tibor in den Hörer.
    Aaah! sagten die Gäste im Salon. Da ist ja endlich der Hausherr!
    Ja, sagte Tibor. Es tut mir Leid. Ich muss gehen.
    Was? sagte Mercedes. Jetzt? Am Sylvesterabend?
    Ja, sagte Tibor. Er müsse jemanden aus dem Gefängnis befreien, gleich zurück, oder erst nächstes Jahr, man weiß nichts Genaues. Einer seiner Studenten sei in irgend etwas hineingeraten, eine Drogen- oder Aufenthaltsgeschichte, und da ohne Familie, habe er Tibor B. als Referenz angegeben. Wartet nicht auf mich.
    Was mache ich jetzt? fragte Mercedes ihre Mutter.
    Was hättest du sonst getan?
    Häppchen serviert?
    Na also, sagte Miriam. Ich helfe dir.
    Wer ist das? fragte Omar. Der verhaftet worden ist?
    Ich weiß es nicht, sagte Mercedes. Ich kenne ihn nicht.
    Wir machen uns gar nicht bewusst, sagte Zoltán, wie viel leichter es zu unseren Zeiten war. Er selbst habe ein staatliches Stipendium bekommen, von dem er eine fremde Frau und deren Kind ernähren konnte. Heutzutage müssten die Studenten mit Drogen handeln, wenn sie überleben wollten. Sie kochen sich jeden Abend einen halben Liter Instantbrühe und tun soviel billige Eierteigwaren hinein, bis alles aufgesogen ist.
    Darf ich das verwenden? (Alegria)
    Zoltán sah ihn verstört an.
    Siehst du, es liegt nicht an mir. Das ist einfach sein Blick.

    Normalerweise braucht man vierzig Minuten bis zur Innenstadt, diesmal, wegen des starken Abendverkehrs, dauerte es eine Stunde und zehn, bis Tibor mit dem Auto an der Wache ankam. Plus zwanzig Minuten für die Parkplatzsuche. Er wollte sich vor dem Gebäude hinstellen, da war Platz, doch der Polizist in der Tür schüttelte den Kopf, und als T.B. ihm einen Blick zuwarf, fragend und verschwörerisch, ob es denn nicht vielleicht doch möglich wäre, ein- und aussteigen, ein- und ausladen, wackelte er auch mit dem behandschuhten Zeigefinger und winkte: weiterfahren. Was in Tibor zu einer Zornesattacke führte, die er sonst nie, in keiner Situation erlitt, ausschließlich beim Autofahren und ausschließlich bei dem Kontakt mit Uniformen. Vor einiger Zeit veranlasste ihn dies zu der Entscheidung, nie wieder Auto zu fahren. Mercedes fuhr, was zu fahren war, aber das ging heute nicht. Tibor fuhr fluchend um den Block. Dabei steigerte er sich in die Vorstellung hinein, er müsste seinen eigenen Sohn aus den Fängen einer verbrecherischen Staatsgewalt befreien und jede Minute zählte.
    Dann musste er, abzüglich der zu erledigenden Formalitäten, sage und schreibe weitere zwei Stunden warten. Jede halbe Stunde ging er hinaus rauchen. Insgesamt viermal. Jeder Zug steigert mein Gefühl, gedemütigt zu werden. Die vierte Zigarette zündete er nur noch an, warf sie gleich weg, marschierte wieder hinein und bot eine filmreife Vorstellung. Er brüllte die Bullen an. Ihnen ist wohl jeder recht etc.? Was denken Sie, mit wem Sie es zu tun haben etc.?
    Beruhigen Sie sich Professor, sagten die Bullen unbeeindruckt. So darf man sich bei uns nicht

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