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Alle Tage: Roman (German Edition)

Alle Tage: Roman (German Edition)

Titel: Alle Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terézia Mora
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hin, den Rücken an den Stamm gelehnt. Jetzt ist er eingeschnappt.

    Sie waren zu siebent, ein Zufall, aber es machte sich gut. Mehr werden wir niemals sein. Ihr Zusammensein hatte keinen bestimmten Zweck, sie waren halt eine Bande. Schwänzten die Schule, trieben sich in den Straßen herum, holten sich aus den Läden, was sie brauchten oder wollten. Wüsste nicht, dass ich mir jemals etwas gekauft hätte. Die Getränkedosen zerdrückten sie, kickten sie klassisch über den Asphalt, rauchten wie die Schlote und spielten fast jeden Nachmittag auf dem umzäunten Bolzplatz am Südende des Parks Fußball. Oder was sie so nannten. Christophoros S., Obdachloser, der von seiner Sitznische aus alles genau sehen kann, hätte es eher eine Massenschlägerei genannt. Sie spielten mit vollem Körpereinsatz, wild gegen die Begrenzungszäune donnernd, ineinander verschlungen, ein Tanz von Laokoonen. Sie ächzten und schrieen Flüche in einer den Herren (und Damen, das ist oft nicht so genau zu sehen) Obdachlosen unbekannten Sprache. Der schwarz gekleidete Typ auf der Bank zwischen Pennerhalbkreis und Bolz: jedes Wort.
    Irgendwann im Laufe des Frühlings war Abel, vermutlich auf Vermittlung von jemandem aus Tibors Kreis, zu einem weiteren Job gekommen. Synchrondolmetschen in einem nahen Kongresszentrum, wenn auch nur als Aushilfe mit Notfalltelefon in der Fleischerei.
    Sie sind ein Skandal! brüllte der Ire.
    Sie sind ein Skandal, sagte die kleine Frau mit dem Pagenschnitt in der Kabine nebenan.
    Sie sind ein Skandal! brüllte der Serbe zurück.
    Sie sind ein Skandal, sagte Abel ins Mikrophon.
    Die kleine Frau lächelte ihm durch die Scheibe zu.
    Nach der Arbeit setzte er die im Winter angefangenen Spaziergänge fort. Seine Bewegungen durch den Nachmittag waren auf die übliche Weise willkürlich, am Park kam er dennoch relativ häufig vorbei, einfach weil er so zentral lag. Wenn er kam, setzte er sich auf die Bank vor der Wäscherei, auf der sonst niemand saß. Die kaputte Ladentürklingel in seinem Nacken schien ihn nicht zu stören. Es sah aus, als schliefe er. Später hob ein irrsinniges Gebrüll an, in dem sämtliche seiner Vorfahren und Nachkommen verflucht wurden, und er wachte auf, oder wer weiß, vielleicht entschied er sich nur, das Kinn nicht weiter auf die Brust gesenkt zu halten. Er sah zu den Käfigen hinüber.
    Dass er sie schon seit einer Weile beobachtet hätte, kann man also nicht behaupten. Dafür kam er erstens zu unregelmäßig, und zweitens bedeutet so ein Hinsehen nichts. Bei dem Lärm, den sie veranstalteten, konnte man einfach nicht nicht aufhorchen. Er blieb eine Weile, dann ging er. Insgesamt fiel er, bis auf Christophoros S., der alles sieht, aber nie was sagt, keinem auf. Aus der Bande jedenfalls hatte ihn bis zum Tag der Äpfel niemand registriert, und auch jetzt, obwohl sie praktisch Schulter an Schulter hockten/saßen, Baumstamm, Bank, bemerkte ihn der Junge eine ganze Weile gar nicht. Er interessierte sich ausschließlich dafür, was auf der Bolz vor sich ging, ob jemand kam, um ihn zurückzuholen. Aber es kamen nur Äpfel geflogen. Sobald sein Kopf hinter dem Baum auftauchte, sirrrrrr, paff. Heute: nicht.
    Ich weine nicht vor Schmerzen, sondern weil ich es nicht verstehe. Was habe ich getan? Warum benehmen sich alle wie die Wahnsinnigen?
    Ein Apfel prallte am Baum ab, rollte vor Abels Füße. Beide sahen sie zuerst den zerfledderten Apfel an, dann einander, dann sah der Junge schnell wieder weg. Er streifte die Apfelreste von sich, soviel er eben sah und erreichen konnte. Seine Hand war geschwollen. Das ist was anderes, sagte er später.
    Irre, murmelte der Junge. Ich bin von Irren umgeben. Mein Vater ist die Mutter aller Irren. Vielleicht sollte ich ins Irrenhaus. Vielleicht sind dort welche normal.
    Das Letzte, dachte er, hätte er nur gedacht, aber offenbar muss er es laut gesagt haben, denn auf einmal sagte der Typ auf der Bank:
    Der Pförtner im Irrenhaus grüßt alle Leute mit »Freiheit!«
    Der Junge (Danko. Sein Name ist…) hörte auf, die Apfelreste von sich zu wischen. Er sah schielend zur Bank.
    Was?
    Der Typ grinste.
    Was grinst’n du?
    Er grinst nicht. Das ist sein Gesicht.
    Danko sah sich das Gesicht an, dann sah er sich noch einmal nach dem Käfig um. Die anderen hatten inzwischen die Mannschaften aufgeteilt, fingen zu spielen an, als wäre nichts. Er drehte den Kopf wieder zurück.
    Wieso grüßt er sie mit Freiheit?
    Im Gedenken an die Französische Revolution.
    ???
    Weil er auch

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