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Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Titel: Alle Toten fliegen hoch: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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heraus und hinein in eine sternklare, mondhelle Nacht. Vor uns lag eine weit offene Landschaft, geschwungen und ja, tatsächlich, von schneebedeckten Bergen umgrenzt. Stan wischte sich mit einem aus der Hosentasche hervorgekramten Taschentuch die Stirn ab, drehte das Fenster einen Spaltbreit hinunter. Wir kamen durch Chayenne. Er sagte zu mir: »One more hour to go!« Der Highway führte durch freigesprengte Felsschneisen und an tiefen Schluchten vorbei. Erst da wurde mir endgültig klar, dass das, was ich auf dem Fragebogen angekreuzt hatte, gründlicher in Erfüllung gehen würde, als ich es mir bis jetzt hatte vorstellen können. Und während ich mich immer weiter in diese fahle Einöde hineinbohrte, dachte ich an die anderen Austauschschüler, diese blasierten Angeber, die schon bald in Kalifornien auf dem Surfbrett liegend auf die Welle ihres Lebens lauern würden.
    Wir erreichten Laramie. Bogen allerdings noch vor der Stadt vom Highway ab und fuhren auf einer Sandpiste in eine Siedlung hinein. Auffahrten, Briefkästen auf Stangen, die Umrisse von Holzhäusern. Ganz am Ende der Siedlung lenkte Stan den Straßenkreuzer mit einem letzten runden Schwung in eine von Bäumen und Sträuchern umstandene, ja überwucherte Einfahrt hinein. Die müden Schwestern zogen sich nicht einmal mehr ihre Schuhe an und trippelten wie übergewichtige Ballerinas ins Haus hinein. Ein grauer Pudel rannte und hüpfte um unsere Beine herum. Schnappte vor Willkommensfreude in die Luft, jaulte und wedelte überdreht mit seinem Schwanzstummel. Hazel sprach mit ihm: »There you are. Yes, everybody is here. No need to worry!« Auch an mir sprang er hoch, als hätte er mich vermisst. Ich klopfte ihm auf den Rücken. In den Augenwinkeln hatte er gelbliche Krusten. Alle außer mir waren todmüde. Die Schwestern riefen: »Good night everybody!« und schlafwandelten in ihre Zimmer. Hazel öffnete eine Tür und sagte gähnend: »This is your room. Hope you like it. Have a good night.« Ich trug meine beiden Taschen hinein, stellte die Sporttasche ab. Zog mir den Brustbeutel über den Kopf und hängte ihn an den Fenstergriff. Ich setzte mich auf den einzigen Stuhl, zog meine Turnschuhe aus und sah mich um. Das also ist mein Zimmer, dachte ich. Mein Zimmer? Rustikal, Holzwände, schwere Deckenbalken. In den Regalen standen massiv aussehende, tatsächlich aber federleichte Pokale mit silbernen Sportlern, die angeberisch, schräg in der Luft stehend und nur mit einem Fuß im Pokalsockel eingegossen, einen Football warfen. Der spielentscheidende Ball und nur noch drei Sekunden auf der Uhr. Große Medaillen hingen an Haken, auf denen sich im Halbrelief Läufer aus dem Metall herausarbeiteten und mehr durch ein Zielband fielen als liefen, das Haar in golderstarrten Strähnen. Und vergilbte Urkunden mit Schwimmern, gebückt, sprungbereit auf dem Startblock, auf dem Urkundenpapier etwas erhaben, Basketballer im Zweikampf, schwerelos in der Luft. Auf den Sockeln der Pokale, den Medaillen und Urkunden stand immer der derselbe Name: Brian Atkinson. Er war der mittlere der drei Gastbrüder und der Stolz der Familie. Ich wusste, dass er als Schüler ein guter Sportler gewesen war und nun Medizin studierte. Das hatten sie mir geschrieben. Sie hatten sehr verschieden ausführlich über ihre Söhne berichtet. Am meisten über Brian, den Mittleren, auch über Bill, den Ältesten, aber am wenigsten über Don, den Jüngsten. Über ihn hätten sie mir doch eigentlich am genauesten schreiben sollen, da ich das gesamte Jahr in seiner Nähe verbringen würde.
    In der Mitte meines Zimmers stand ein großes Bett. Ein eigenartiges Bett. Was für ein Klotz! Das war doch nicht etwa? Ich stand vom Stuhl auf und drückte mit beiden Händen auf den Bettüberwurf. Eine schwappende Welle rollte durch die Matratze. Mein Gott! Das war tatsächlich ein Wasserbett. Ich hatte ein Wasserbett! An der Bettkante waren ein drehbarer Schalter und eine Temperaturanzeige. Es war nicht nur ein Wasserbett, es war auch noch heizbar. Dieses temperierbare Bett sollte in der ersten Woche meines Aufenthalts zum Inbegriff der neuen Welt, der Welt der unbegrenzten Möglichkeiten werden. Dieses riesige schwankende, mit Bergmotivbettwäsche bezogene Ungetüm! Ich legte mich angezogen auf den Überwurf. Wenn ich mich umdrehte, gluckste es im Inneren, und meine Bewegung schwappte zu den Seiten, kam zurück und hob und senkte mich. Ließ ich die Füße fallen, rollte die Welle unter meinen Beinen entlang,

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