Alle Toten fliegen hoch: Amerika
sorry, but my nose. Blood! All over!« Hazel stand auf und ging mit mir zusammen zurück in mein Zimmer. Auf ihrem Nachthemd rankten Rosen. Überall Blut. Sie flüsterte: »Jesus Christ.« Ich fühlte mich plötzlich sehr schwach und schwindelig. Stan kam und nahm mich mit in die Küche, während Hazel sich intensiv um den Tatort kümmerte. Der Kühlschrank war der größte, den ich je gesehen hatte. Stan nahm ein Handtuch und hielt es unter eine Öffnung, drückte einen Knopf, und heraus fielen frisch zerkleinerte Eiswürfel. Mein Englisch war so schlecht, dass ich immer nur in lange vorher wohlüberlegten kleinen Portionen sprechen konnte. Jetzt sagte ich: »Oh, cold ice!« Stan lachte und machte mir Zeichen, ich solle mich vornüberbeugen, und legte mir den eisgefüllten Handtuchbeutel in den Nacken. Das tat gut. Kurz legte er mir die Hand auf die Schulter. Er fragte mich, ob ich Hunger hätte. Ja, Hunger hatte ich. Riesenhunger. Ich nickte, sodass das Eis im Beutel knirschte. Hazel kam und sagte mir, ich solle meinen Kopf besser in den Nacken legen. Stan, der mir Eier mit Speck briet, widersprach. Sie stritten sich, nicht heftig, eher vertraut, um die optimale blutstillende Position. Schließlich drehte sich Hazel zu mir um und teilte mir das Ergebnis mit: »Keep your head backwards. It’s better. Let me clean your face. You look a little scary.« Während mir Hazel mit dem Handtuch über die Stirn wischte, vorsichtig um die Augen herum tupfte, roch es immer kräftiger nach dem Speck. Stan fragte mich: »Sunny side up or sunny side down?« Ich hatte keine Ahnung, was er meinte, und bezog es auf mich, meine missliche Lage. Sonne oben oder unten? Ich legte mir die Worte zurecht und sagte: »Oh, sorry for all the blood – sunny side up!« Stan und Hazel kicherten. Erst Monate später, als ich in einem Restaurant irgendwo in Nebraska dieselbe Frage gestellt bekam, begriff ich, dass es um das Eigelb ging, dass bei sunny side up nicht, bei sunny side down sehr wohl gewendet wird. Hazel hielt mir eine mit einem Cowboy bedruckte Serviette vor die Nase und zog mit den Fingern durch das Papier hindurch die Klopapierpfropfen heraus. Das war seltsam. Ich hatte das Gefühl, dass mir etwas, ein blutiger Wurm, tief aus der Stirn, ja aus meinem Gehirn herausglitt. Es blutete nicht mehr und ich ging in mein Zimmer, um mir das verkrustete T-Shirt auszuziehen.
Das Wasserbett war frisch bezogen – mit dem Grand Canyon. Das Badezimmer war sauber. Frische Handtücher mit Blumenwiesen hingen über dem Handtuchhalter. Am anderen Ende des Bades war eine Tür. Die war mir noch gar nicht aufgefallen. Ich öffnete sie vorsichtig. Das musste Dons Zimmer sein. Also doch kein eigenes Bad. Das Badezimmerlicht erhellte das Zimmer meines Gastbruders nur spärlich, aber es sah vollkommen anders aus als meines. Mein Zimmer war ordentlich, übersichtlich, mit Brians Trophäen dekoriert. Dons Zimmer war vollgestopft mit Zeug. Ich hatte nur einen Stuhl, meinen Schreibtischstuhl. Don hatte Sessel, kein Bett, auf dem Boden lag eine Matratze und an einer der Holzwände saßen auf Astenden mehrere ausgestopfte Vögel und sahen mich mit ihren Glasaugen an. Dieses Zimmer sah ganz und gar nicht so aus wie eines der amerikanischen Kinder- oder Jugendzimmer, die uns angekündigt worden waren. Man hatte uns angehenden Austauschschülern gesagt, dass es in den USA als Unsitte galt, sich in seinem Zimmer zu verkriechen. Türen würden nicht geschlossen, der Familienmittelpunkt wäre das Wohnzimmer – der living-room. Doch Dons Zimmer war eindeutig ein Rückzugsort, ein Fremdkörper im sonst so überordentlichen Haus, eine Höhle. An den Wänden überall Poster, schräg aufgehängt. Rockbands, Sänger mit Mikrofonständern in exaltierten Posen. Eine Frau im Bikini breitbeinig auf einem Riesenmotorrad sitzend. Ich schloss die Tür. Ich sah auf den Wecker mit der heimischen Zeit. Meine Eltern. Meine zurückgelassene und mit Versprechungen überhäufte Freundin, meine Brüder. Was sie wohl alle gerade machten? Ich ging in die Küche. Stan und Hazel hatten sich dick abgesteppte Bademäntel oder eher Hausmäntel angezogen. Sie sahen unförmig aus, fast so, als hätten sie sich in Teppiche eingerollt. Auf dem Tisch standen meine Eier mit Speck und ein Glas Orangensaft. Ich setzte mich und aß. Sie saßen mir gegenüber, sahen mir beim Essen zu und dachten sicher: »Was das wohl für einer ist?« Jedes Mal, bevor ich etwas sagte, überlegte ich lange. Diese Art,
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