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Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Titel: Alle Toten fliegen hoch: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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verantwortlich, dass jeder Wagen auf diesem Parkplatz jederzeit einwandfrei übergeben werden kann. Hier, das zum Beispiel ist ein ’54er Chevy. Der ist in dem Zustand ein Vermögen wert. Gehört einem Kinderschänder aus Kansas. Der steht hier seit achtundzwanzig Jahren. Sein Besitzer hat ihn vor achtundzwanzig Jahren hier abgestellt, ist ins Gefängnis reinspaziert, und seitdem haben sich beide nicht mehr vom Fleck wegbewegt.« Er sprach undeutlich und seine Hände waren immer noch nicht trocken.
    Coach Kaltenbach fragte ihn: »Is paradise occupied right now?« »Yes, I think so. Let’s have a quick look at it.« Wieder sah ich zuerst Unmengen Stacheldraht. Das Paradies war ein großer Wohnwagen ohne Räder, aufgebockt auf Holzbalken mit etwas Rasen drum herum und einem müden Wassersprenger, der es hin und wieder blechern auf das Wohnwagendach regnen ließ. Es hatte seinen eigenen Wachturm und Coach Kaltenbachs Bruder grüßte mit seinen feuchten Händen in Richtung Wachturmscheibe. Ich sah niemanden, nur gespiegelten Stacheldraht. Über dem Eingang hing ein rustikales Holzschild, so wie über vielen Rancheinfahrten in Wyoming. Darauf stand, grob geschnitzt: »Welcome to Paradise«. Der Wohnwagen hatte rote Gardinen. »Here, at this lovely place our prisoners can meet their girls. If they behave well, they’re allowed to do so every two months.« Da ging die Tür des Wohnwagens auf und ein ausgemergelter nackter Mann trat ins Freie. Er lief ein Stückchen über den nassgesprengten Rasen und pinkelte. Einzelne Urintropfen blieben funkelnd am Stacheldraht hängen. Coach Kaltenbach und sein Bruder lachten. Sie lachten genau gleich. Vollführten aus dem Stegreif eine kleine Lachnummer: nach vorne beugen und zurück, Luft holen, und wieder vor und zurück. Waren sie vielleicht doch Zwillinge? Ich sah ihnen ein Weilchen beim Lachen zu. Währenddessen pinkelte der nackte Häftling noch immer. Breitbeinig, freihändig, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. In einem Bademantel, mit herabhängenden Bademantelgürtelenden, sah ich im beschatteten Wohnwagentürchen die Umrisse einer Frau. Mit quäkender Stimme rief sie zum Wachturm hinauf: »Next one!«
    Dieses »Next one« hat mich während meines ganzen USA -Aufenthalts verfolgt. Überall quetschten Frauen einem dieses ewig gleiche »Next one« in die Ohren. Im Kino, beim Arzt, bei McDonald’s. Überall saßen Frauen mit schlechten Frisuren und quäkten »Next one, next one, next one«. Die Brüder unterbrachen ihr Lachballett und sahen mich an. Sie wurden sich immer ähnlicher. Coach Kaltenbachs Bruder zwinkerte mir zu und sagte: »This is Paradise.« In Begleitung von zwei Aufsehern tippelte ein Mann zum Wohnwagen. Er sah mit seinem langen schwarzen Haar und der runden Brille wie ein intellektueller Indianer aus. Die Frau warf die Gefängniskleidung vor die Füße des Nackten. Er zog sich an und wurde abgeführt. Jetzt sah ich die Frau genauer. Unter dem Bademantel trug sie etwas Rosanes mit vielen Löchern. Der Indianer zwängte sich durch die enge Wohnwagentür. Der Coach und sein Bruder lehnten sich über die Eingangsschranke, Zwillingscowboys am Kuhgatter, und grinsten den Wohnwagen an. Warum geschieht leider eigentlich immer genau das, was man erwartet? Der Wohnwagen wackelte. Mal langsam, dann schneller, dann passierte eine Zeit lang gar nichts und die Brüder riefen im Chor: »New position.« Ein Schrei. So klingen schwere Schränke, die man über Steinfußböden schiebt. Und im nächsten Moment rüttelte der Wohnwagen wieder los. Der Coach rief laut »Jesus!« und »Oh my God!« und spuckte seinen Kaugummi genau auf die Stelle, wo auch schon der Kaugummi seines Bruders lag. Die Laute waren Furcht einflößend. Dann war es vorbei. Aus der Tür trat der Indianer. Sein langes Haar klebte ihm im Gesicht. Er riss die Arme hoch, sah zu uns herüber. Rief »Yeahh!« und streckte sich. Die Frau rief laut: »Next one!« und der Bruder sagte zu mir: »Come on, now I show you the prison.« Ich sah gerade noch, wie ein alter Mann gegen seinen Willen zum Paradies gezerrt wurde, sich wehrte und zusammen mit beiden Aufsehern im Wohnwagen verschwand.
    Wir passierten drei Sicherheitsschleusen. Jedes Mal wurde ich als »The guy from Germany« vorgestellt. Einer der Schließer fragte mich: »Oh Germany! You are really from Germany?« Ich nickte. »How did you get out?« Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach. Er klopfte mir auf die Schulter: »Welcome to America. Enjoy freedom

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