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Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Titel: Alle Toten fliegen hoch: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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feuchten Hand zu einer Zelle. Ohne von der Linie zu gehen, beugte ich mich vor. Dort saß mit dem Rücken zu uns ein Mann auf dem Boden. Nur mit einer Unterhose bekleidet. Der Nacken, der ganze Rücken schwarz behaart. An irgendetwas erinnerte mich dieser Anblick, aber mir fiel nicht ein, woran. Der Bruder vom Coach sagte leise: »Killed his whole family.«
    »Hallo!« – auf der Höhe der vierten Tür sprach mich jemand an. Mit heiserer Stimme – und auf Deutsch. Ich schwankte, verlor das Gleichgewicht und fiel von der Linie. »Du bist aus Deutschland, oder?« »Ja.« »Was machst du hier?« Ich stand direkt vor dem Gitter, höchstens dreißig Zentimeter zwischen unseren Gesichtern. »Äh.« »Was machst du hier?« »Äh, Urlaub.« »Urlaub? Na, da hast du dir ja wirklich ein schönes Fleckchen ausgesucht.« Der Coach und sein Bruder standen neben mir, hakten mich leicht unter und zogen mich zurück. »Gibst du mir deine Adresse? Ich würde dir gerne schreiben!« Ich war verwirrt. Coach Kaltenbachs Bruder legte den Arm um mich. »We have to go now.« Der Gefangene rief mir hinterher: »Schreib mir bitte! Bitte, versprich mir, dass du mir schreibst. Auf Deutsch. Ja? Schreib mir auf Deutsch!« Er presste sein Gesicht zwischen die Gitterstäbe: »Bitte schreib mir, bitte. Mein Name ist Randy Hart. Ja? Tust du das? Ich schreib dir dann zurück, ja? Auch auf Deutsch!« Kurz bevor wir in der Sicherheitsschleuse verschwanden, blieb ich stehen und drehte mich um. Das milchige Licht des Todestraktes, die spürbare Dicke der Mauern. Mir war nicht gut. »Schreibst du mir, ja? Bitte!« Und da – da nickte ich ihm zu. Er streckte seine Arme aus der kleinen Öffnung, klatschte in die Hände. »Du hast es versprochen«, rief er, »du hast es mir versprochen! Randy Hart. Vergiss es nicht. Schön, dass du hier warst.« Er brüllte: »DU HAST ES MIR VERSPROCHEN ! ICH HEISSE RANDY HART !« Die Sicherheitstür fiel ihm ins Wort und wir verließen den Todestrakt.
    Ich hatte mir fest vorgenommen, eine bestimmte Frage nicht zu stellen, aber ich war zu neugierig. »What did he do?« Coach Kaltenbachs Bruder wusste es nicht. »But you can be sure that he got what he deserves. What did he want from you? What did he say?« »That I should write him a letter.« »Wow. So what are you going to do?« Ich bat erneut darum, mir zu sagen, was er verbrochen hatte. »Okay«, sagte Coach Kaltenbachs Bruder, »I’ll wash my hands and then we’ll look for Tom. Maybe he can help you!« Wir fanden Tom in seinem Büro. Er war Anfang sechzig und auf seinem Schreibtisch lag ein Gewehr, dessen Lauf auf uns zeigte. Der Coach fragte mich, ob ich Randy denn wirklich schreiben wolle. Ich solle vorsichtig sein, denn wenn man damit einmal anfange, würde man so einen Gefangenen möglicherweise nie wieder los. Tom wusste sofort, wen wir meinten. »Na klar. Randy Hart! Windiges Bürschchen. Sitzt hier seit über sechzehn Jahren. Doppelmord in Deutschland. Ich glaube: Tankstelle. Wartet, ich schau mal nach.« Er öffnete einen Aktenschrank und begann zu lesen. Machte »Hmm«, blätterte um, pfiff leise und klappte die Akte wieder zu. »Genau wie ich gesagt habe: Doppelmord. In Babenhausen. Seine Mutter war Deutsche, sein Vater Soldat. Amerikaner. Randy Hart wuchs in Deutschland auf. Ging dort zur Schule. Mit fünfzehn ist er mit seinem Vater nach Wyoming gekommen. Mutter früh gestorben. Er ging wie sein Vater zur Armee. Wurde in Deutschland stationiert und hat dann eine Tankstelle überfallen. Den Tankwart erschossen und eine Frau. War lange auf der Flucht. Fast zwei Jahre. Sie haben ihn in Griechenland geschnappt. Es war nicht ganz klar, ob er in Deutschland oder hier bei uns vor Gericht musste. Wurde überstellt und hier wegen heimtückischen Doppelmordes zum Tode verurteilt. Die Deutschen haben schon ein paar Mal versucht, ihn ausliefern zu lassen, aber jetzt scheint die Sache eingeschlafen zu sein. Seit über sechzehn Jahren ist er bei uns. Einmal wären wir ihn fast losgeworden. Da war das Schwein schon auf der Pritsche festgeschnallt. Aber dann hat unser feiger Gouverneur Druck aus Deutschland bekommen. Daran erinnere ich mich noch genau. Das muss vor vier, fünf Jahren gewesen sein.« Ich ließ mir die Adresse des Gefängnisses geben. Auf einem Zettel, den ich sorgfältig faltete und sicher verwahrte. Der Coach und sein Bruder waren enttäuscht, dass ich mir die sogenannte »Death chamber« nicht mehr ansehen wollte. »Hey German, you will love it!« Aber

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