Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Titel: Alle Toten fliegen hoch: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
Vom Netzwerk:
and peace!« Coach Kaltenbachs Bruder musste zeigen, wie viele Kugeln er in seinem Colt hatte. Mit einem angeberischen Salto mortale ließ er ihn zurück in das Halfter springen. Leder und Eisen. Es braucht nicht viel, dachte ich, um an einem Beruf hängen zu können. Immer wurde hinter uns erst abgeschlossen, bevor vor uns aufgeschlossen wurde, und diejenigen, die ab- und aufschlossen, waren nie mit uns im selben Raum. Man wurde also immer erst eingesperrt und dann wieder ein bisschen freigelassen.Wir kamen in einen großen Aufenthaltsraum, in dem Männer saßen, rauchten, Karten spielten oder vorm Fernseher hockten. Coach Kaltenbachs Bruder zeigte mir das ganze Gefängnis. Die Werkstätten, in denen die Nummernschilder von Wyoming gestanzt wurden, ein Rodeoreiter auf gelbem Blech. Die Großküche. Der Schrank mit den durchnummerierten Küchenmessern. Der Zellentrakt mit drei Etagen. Die Gittertüren der Zellen waren alle geöffnet. Ich hätte mir die Gefangenen gerne genauer angesehen, aber ich hatte Sorge, zu sehr zu starren. Mich dagegen fixierten sie genau, das spürte ich. Ihre Gefängniskleidung mochte ich. Fester hellblauer Drillich. In jeder Zelle waren drei identisch gemachte Betten, unten, mittig, oben. Ein Tisch, ein Klo, ein Fernseher und mindestens ein Poster mit einer nackten Frau darauf. Doch die Brustwarzen und die Scham waren herausgeschnitten. Coach Kaltenbachs Bruder erklärte mir ungefragt, was es damit auf sich hatte. Wieder war ich mir nicht sicher, ob ich ihn richtig verstand. Er sprach so, als hätte er eine ganze Packung Kaugummis im Mund, als wären seine Zähne, seine Zunge selbst aus Kaugummi. »Die Gefangenen dürfen sich zwar diese Bilder aufhängen, aber man darf nichts Obszönes sehen. Der Zellenälteste heißt ›the keeper of nipples and pussies‹. Nach dem Einschluss kann man sie sich bei ihm für ’ne Kleinigkeit ausleihen und mit ’nem Kaugummi ins Poster pappen.« Er lachte, hielt zum ersten Mal seine endlich getrockneten Hände still. Coach Kaltenbach wollte gerade wieder in die Lachnummer mit einsteigen, als sein Bruder sagte »I’ll be back soon« und kurz in einen Waschraum verschwand. Wir gingen weiter. Auf einem sandigen Platz spielten Häftlinge mit sehr gedämpftem Einsatz Basketball. Einer von ihnen warf mir den Ball zu und ich traf tatsächlich aus großer Distanz. »Not bad«, rief er herüber, »wanna stay with us?«
    »And now!« – die Miene von Coach Kaltenbachs Bruder verfinsterte sich ironisch und er sprach effektvoll düster – »our main attraction. Highly restricted area. But for you I’ll make a special exception. Because it’s you, the guy from Germany, a specialist. So here it is: the death row.« Wieder mussten wir durch diverse Sicherheitsschleusen. »Right now we have sixteen prisoners here on death row!« Er erklärte mir, dass sie hier auf die Vollstreckung ihres Todesurteils warten würden. Aber es sei verflucht lange her, dass einer von diesen »sons of bitches«, wie er sie nannte, wirklich dran glauben musste. Seit zwölf Jahren wäre in Wyoming niemand mehr hingerichtet worden. Hier säßen die wirklich schweren Jungs. Jeder von denen hätte es verdient, dass man ihm eine Spritze verabreichte. Er kündigte an, mir auch noch die Todeskammer, in der die Hinrichtungen vollstreckt wurden, zu zeigen. Stolz rief er: »So look around. Do you see the white line on the ground? Never leave it. Watch your step. Stay on the line. So you make sure they can’t attack you. Stay out of reach.« Links und rechts waren die Zellen. Schwere Eisentüren mit einer kleinen vergitterten Öffnung. Je zehn Zellen links und rechts vom Gang und in der Mitte eine weiße Linie. Was hatte er gesagt? »Out of reach?« Ich balancierte auf der Linie durch den Todestrakt, Coach Kaltenbach hinter mir. Ich war mir sicher, würde ich auch nur einen Millimeter neben die Linie treten, würde sich wie eine Muräne die Hand eines Massenmörders auf mich stürzen. Coach Kaltenbachs Bruder kümmerte sich nicht um die weiße Linie und schlenderte entspannt von Zelle zu Zelle. Durch die schmalen Gitter konnte ich nicht viel erkennen. Da ein Bein auf einer Pritsche, da einen Arm auf einem im Boden verankerten Metallhocker. Doch nach und nach hatten uns die Gefangenen bemerkt, traten an die Gitter und sahen mir beim Balancieren zu. Blass sahen die Männer aus, seltsam ähnlich. Kurz geschorene Schädel mit tief liegenden Augen. Coach Kaltenbachs Bruder winkte mich mit seiner wieder

Weitere Kostenlose Bücher