Alle Tränen dieser Erde
Flaschen mit Desinfektionsmittel.
»Schaust du dir zur Erholung mal die Reihe an?« fragte er mit einem Kopfnicken in Richtung Bücher.
»Habe mir die Mühe schon lange nicht mehr gemacht.«
Stille. Verzweifelt sagte Birdlip: »Du weißt ja, mein Partner Freud führt die Serie weiter. Ihr Ansehen war nie höher. Wir bringen bald Band 500 heraus und suchen nach einem ganz besonderen Titel dafür. Natürlich haben wir alles von Wells, Stapledon, Clarke, Asimov schon herausgebracht, alle Rosinen. Du hast wohl keine Vorschläge, nehme ich an?«
»›Nonstop‹?« sagte Rainy aufs Geratewohl.
»Das war Nummer Neunundneunzig, hast du selbst ausgesucht.« Verärgert stand er auf. »Rainy, du hast dich nicht gebessert. Das beweist es. Du stehst allen wichtigen Dingen des Lebens gleichgültig gegenüber. Du gehst nicht zu einem Analytiker. Du bist zu einer Pflanze geworden, und ich fange an, zu glauben, daß du nie zu einem normalen Leben zurückkehrst.«
Rainy lächelte und fuhr mit der Hand über das Pferdegeschirr.
»Das ist das normale Leben, Jan, das Leben auf der Scholle, mit dem Geruch der Erde, mit der Sonne, mit dem Regen, der durchs Fenster tropft – «
»Der Geruch deiner verschwitzten Hemden auf dem Eßtisch! Der Gestank der Schweine!«
»Frei von der Vergiftung der Jahrhunderte – «
»Zurück in Elend des Mittelalters!«
»Leben in Berührung mit ewigen Dingen, entbunden von einer zu großen Abhängigkeit von mechanischen Geräten, Nahrung essen, die der Scholle entspringt – «
»Ich kann nichts verzehren, was mit Dreck in Verbindung war.«
»Vor allem keine Sorge darüber, was andere Leute tun oder nicht tun, befreit von allen Künstlichkeiten der Künste – «
»Hör auf, Rainy! Genug. Ich weiß Bescheid. Ich habe deinen Katechismus früher schon gehört, deine Hymne an das einfache Leben. Es schmerzt mich, das sagen zu müssen, aber ich finde das einfache Leben langweilig, primitiv und langweilig. Mehr noch, ich bezweifle, ob ich zukünftig noch Besuche bei dir ertragen kann.«
Ganz ungerührt lächelte Rainy und sagte: »Vielleicht kommst du eines Tages hier herein wie Pursewarden und Jagger Bank und bittest um Arbeit. Dann werden wir das Leben ohne Streit genießen können.«
»Wer ist Jagger Bank?« fragte Birdlip.
»Das habe ich dir schon gesagt. Auch einer, der zu mir gekommen ist. Gestern kam er daher. Er steht unten im Obstgarten und füttert die Schweine. So etwas würde dir auch gut tun, Jan.«
»Hippo!« sagte Birdlip. »Laß sofort den Motor an.« Er stieg über eine Kiste Insektenvertilgungsmittel und ging zur Tür.
Das Dienstmädchen am Haupteingang von ›Gebrüder Birdlip‹ war eine schlanke und vorwiegend aus Plastik bestehende Rofrau namens Belitre, die »Guten Morgen, Mr. Birdlip« flötete, als er am nächsten Morgen vorbeirauschte.
Birdlip bemerkte sie kaum. Den gestrigen Nachmittag nach seinem Besuch bei Rainy hatte er zu Hause gesessen, Mrs. Birdlip eng neben sich, und das Manuskript mit dem Titel ›Eine Erklärung für überflüssige Handlungen beim Menschen‹ gelesen. Als Intellektueller fand er die Beweisführung meist absurd, als Mensch die Schlußfolgerung bedrückend, als Verleger die Überzeugung, daß er einen Bestseller vor sich hatte. Sein linker Ellenbogen prickelte, stets ein Zeichen dafür, daß er vor einer literarischen Entdeckung stand.
Demzufolge stürmte er voll Begeisterung zum Haupteingang hinein und summte vor sich hin: »›und umkränzten so manches…‹« Ein Schwall heißer Luft empfing ihn und brachte ihn zum Stehen.
»Pontius!« brüllte er so laut, daß Belitre klirrte.
Pontius war der Hausmeister, ein älterer und ziemlich übelriechender Roman von dem jetzt veralteten benzinbetriebenen Serie Typ, ein Ford ›Unermüdlich‹, Baujahr 2140. Er kam auf seinen Raupenketten herangekeucht.
»Sir«, sagte er.
»Pontius, bist du hier unten zuständig oder nicht? Warum ist die Heizung noch nicht repariert?«
»Ein pi-pi-paar Leute arbeiten schon daran, Sir«, sagte Pontius, mit seinen verbrauchten Stimmkreisen ein wenig stotternd. »Sie sind unten im Keller, zet-zet-zur Zeit, Sir.«
»Daß sie –!« sagte Birdlip gereizt, und: »Füll Wasser in deinem Kühler nach, Pontius – ich wünsche nicht, daß du im Haus dampfst«, sagte Birdlip pedantisch, als er zum Keller hinuntereilte.
Unter- und Überlegenheit zwischen Roman und Roman war praktisch unbekannt. Schließlich waren sie für den Menschen alle gleich.
Also:
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