Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alle Tränen dieser Erde

Alle Tränen dieser Erde

Titel: Alle Tränen dieser Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian W. Aldiss
Vom Netzwerk:
Erkrankungen viel stärker verbreitet sind, als irgend jemand in unserer laissez faire -Gesellschaft ahnt. Wenn wir also feststellen, daß ein Roman grausam behandelt wird, versuchen wir das zu verhindern, denn wir wissen, daß das einen kranken Menschen anzeigt. Was mit dem Roman geschieht, ist bedeutungslos, aber wir versuchen, den Menschen zu veranlassen, daß er sich behandeln läßt.
    Nun Sie, Mr. Freud – vor einer halben Stunde haben Sie Ihren Roman mit einer Ochsenpeitsche geschlagen, die Sie dort in diesem Schrank aufbewahren. Der Vorfall war einer von vielen, und es handelte sich dabei auch nicht um einen gesunden sadistischen Ausbruch. Der Beiklang von Schuldbewußtsein und Verzweiflung zeigt Symptome einer tief wurzelnden Krankheit.«
    »Kann das wahr sein, Freddie?« fragte Birdlip – ganz überflüssig, denn Freuds Gesicht, ja, sogar seine Haltung, verrieten die Wahrheit. Er zog ein Taschentuch heraus und wischte sich mit zitternder Hand die Stirn.
    »Ja, es ist wahr, Jan. Warum soll ich es bestreiten? Ich habe die Romen immer gehaßt. Ich erzähle lieber, was sie meiner Schwester angetan haben – was sie ihr noch antun, und das gar nicht so weit von hier…«
     
     
    Nicht so weit von hier war Captain Pavments Hubschrauber abgestellt und erwartete seine Rückkehr. Darin, ebenfalls wartend, saß der Roman Toggle und starrte auf den kleinen Bildschirm. Ein winziger Freud sagte dort: »Ich habe die Romen immer gehaßt.«
    Toggle legte einen Hebel um, der ihn mit einer geheimen Zentrale in Paddington verband, und sagte: »Hoffentlich zeichnet ihr das alles auf. Für die Soziologische Menschen-Studiengruppe sollte das von besonderem Interesse sein.«
    Eine metallische Stimme sagte am anderen Ende: »Wir empfangen Sie laut und klar.«
    »London-Klar ist einer der kleinen künstlichen Inseln auf dem Mittelmeer-See. Dort verbrachten meine Schwester und ich unsere Kindheit und wurden von Romen aufgezogen«, sagte Freddie Freud und blickte überallhin, nur nicht auf Birdlip und den Captain. »Wir sind Zwillinge, Maureen und ich. Meine Mutter hatte eine Freie Beziehung zu meinem Vater aufgenommen, der nach Touchdown auf der Venus unterwegs war, bevor wir auf die Welt kamen, und meines Wissens nie zurückgekehrt ist. Unsere Mutter starb bei unserer Geburt.
    Die Romen, die uns aufzogen, waren, wie alle Romen immer sind – nie unfreundlich, nie ungeduldig, nie ungerecht, nie irgend etwas anderes als verdammt tüchtig und eben sie selbst. Gleichgültig, was Maureen und ich taten, selbst wenn wir sie traten oder anspuckten oder anpinkelten, wir entlockten ihnen keine Reaktion, kein Anzeichen von Liebe oder Zorn, keine Spur von Hast oder Resignation – nichts!
    Wundert es Sie, daß wir beide voll Haß gegen sie aufwuchsen – und gleichzeitig von ihnen abhängig waren? In uns beiden etablierte sich eine andauernde und absolut hoffnungslose Haßliebe – Beziehung zu Romen. Wie Sie sehen, sehe ich dieser Tatsache durchaus ins Gesicht.«
    »Sie haben mir erzählt, daß Sie eine Schwester hätten, Freddie«, sagte Birdlip, »aber Sie sagten doch, sie sei zur Zeit der Großen Venus-Pest gestorben.«
    »Wäre sie nur! Nein, das kann ich nicht sagen, aber Sie sollten einmal sehen, wie sie jetzt lebt. Gelegentlich bin ich ganz allein hingegangen, um sie zu sehen. Sie lebt in Paddington mit den Romen zusammen.«
    »Mit den Romen?« wiederholte Pavment. »Wie?«
    Freuds Erregung nahm zu.
    »Sehen Sie, als wir größer wurden, entdeckten wir, daß es ein Gebiet gab, auf dem wir Macht über die Romen hatten – die Macht, Gefühle in ihnen zu wecken, meine ich, abgesehen von der eingebauten Macht, sie zu kommandieren. Da sie keinen Sex kennen, sind die Romen neugierig… Überwältigend neugierig…
    Ich kann Ihnen nicht sagen, welche Ungehörigkeiten wir erdulden mußten, als wir die Pubertät erreichten…
    Nun, um eine lange und abscheuliche Geschichte abzukürzen, Maureen lebt bei den Romen von Paddington. Sie kümmern sich um sie, versorgen sie mit gestohlener Nahrung, Kleidung und allem anderen, während sie dafür ihre Neugier befriedigt.«
    Zu seiner enormen Verlegenheit stieß Birdlip ein schrilles Gelächter aus. Es zerstörte die Atmosphäre der Beichte.
    »Das ist eine wertvolle Information, Mr. Freud«, sagte Pavment und nickte zustimmend, während die Plastikfeder an seinem Hut in geheimer Freude wippte.
    »Wenn das alles ist, was Sie damit anfangen, zum Henker mit Ihnen«, sagte Freud. Er stand auf. »Ich

Weitere Kostenlose Bücher