Alle Tränen dieser Erde
sich. Sie lieferten Nahrung.« Beim Sprechen verlor sich der vorher auffällige grollende Ton. Ihre Augen ruhten auf Keters Gesicht, als sei es nur ein Vorsprung der grausamen Landschaft, die sie beschrieb. Safton schaute zum Fenster hinaus und sah Meile um Meile der galaktischen Stadt vorbeihuschen. Es wurde dunkel; die phantastischen Türme schienen im Weltraum zu schweben.
»Diese Menschen – unsere Vorfahren – mußten sich von ihrer Umwelt ernähren, als ihre Vorräte verzehrt waren. Sie hatten einen mühsamen Kampf zu bestehen, das kann ich Ihnen sagen. Sie hatten Saatgut mitgebracht, aber es ging nicht auf. Die Umweltbedingungen genügten einfach nicht. Wir haben Spinnen, aber die meisten Insektenarten – nein! Keine Bienen… die kommen erst nach den Blumen. Keine Schmetterlinge, und keine Spur von dem Hochgeschwindigkeits-Metabolismus eines echten Vogels. Die Menschen lebten also von der energieschwachen Nahrung, die zur Verfügung stand.
Das war eine krasse Umstellung in der Ernährung. Wissen Sie, was geschah? Sie starben nicht aus. Sie paßten sich an. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie ausgestorben wären und es uns nie gegeben hätte. Denn sich anzupassen, hieß, daß sie langsam Kaltblütler wurden. Wenn auf einem Planeten Leben entsteht, dann beginnt es immer kaltblütlerisch; unter den gegebenen Umständen ist kaltes Blut ein Überlebensfaktor – wußten Sie das, Mr. Keter? Auf diese Weise wird das Leben langsam gelebt, und es kann bei der vorhandenen vitaminarmen Nahrung bestehen. Erst viel später auf dem Evolutionsweg bekommt man chemische Reaktionen im Blut, die es erwärmen, hervorgerufen durch den Verzehr neuer Nahrung – der gehaltvolleren Nahrung, die den samentragenden Pflanzen folgt.
Die Evolution hat unseren Vorfahren einen Streich gespielt. Sie schickte sie den Weg zurück. Sie wurden – wir sind – Reptilien.«
»Das ist Unsinn, Corbish«, sagte Safton. »Wir sind nach wie vor Menschen, nur Kaltblüter.«
Corbish lachte.
»O ja, es gibt Schlimmeres als uns. Unsere unglücklichen Vorfahren verwilderten, als ihr Blut erkaltete. Jahrtausende lang waren sie Nachtwesen. Eine Gruppe von ihnen, ungefähr fünfzig an der Zahl, verließen die übrigen und führten im Gebiet des Assh-hassis-Deltas ein Leben halb im Wasser. Deren Nachkommen sollte Sie heute sehen, Mr. Keter! Sie bringen nicht einmal lebende Junge zur Welt! So fremdartig ich für Sie auch bin, wenigstens lege ich keine Eier!« Sie brach in rauhes Gelächter aus, und Safton legte den Arm um sie.
Nach kurzem Schweigen sagte Keter: »Ich nehme an, daß Sie die Geschichte von Dansson kennen. Wir – der Mensch – rotteten die siebenundsiebzig Nationen der zweibeinigen Danssonier aus, bevor wir den Planeten besetzten. Ich meine, daß unsere Geschichte schändlicher ist als die Ihre, wenn wir in der Schändlichkeit konkurrieren wollen.«
Corbish drehte den Kopf und sah ihn interessiert an.
»Hoffentlich fühlen Sie sich jetzt besser«, sagte er zu ihr. »Wir sind gleich da.«
Der Wagen hatte während ihrer Sätze mehrmals gehalten. Nun kam er wieder zum Stillstand, und sie stiegen in einer Station aus, die der ersten stark ähnelte. Als sie aus dem Untergrund kamen, sahen sie einen Teil der Stadt vor sich, der dem hinter ihnen liegenden ziemlich genau glich, nur daß die großen Gebäude hier bunter und konservativer in der Form waren. Das Mikrofab-System schwebte über ihren Köpfen und lenkte seine Konzertflügel durch das Halbdunkel.
Keter blieb stehen und wies auf ein scharlachrotes Gebäude an der Straße zu ihrer Linken.
»Das ist Klein-Istino. Sie werden sich bei den Leuten von Ihrem eigenen Planeten zu Hause fühlen – aber vergessen Sie nicht, daß wir im Grunde alle von derselben Art sind«, sagte er.
»Ich möchte mich für meine Unhöflichkeit vorhin entschuldigen«, sagte Corbish. »Ich will mich nicht herausreden, aber ich habe mich sehr unglücklich gefühlt. Jetzt bin ich viel ruhiger.«
»Ich auch, seltsamerweise«, sagte Safton. »Das muß an Ihrer Gesellschaft liegen, Mr. Keter.«
Sien Keter schüttelte seine Mähne.
»Nein, das ist es nicht.« Er lachte. »Vielleicht begleite ich Sie sogar bis zu Ihrer Tür. Es fällt Ihnen schwer, mich loszuwerden, nicht? Sehen Sie, es gibt einen Grund dafür, warum Sie sich glücklicher fühlen.«
Sie gingen nebeneinander und sahen ihn forschend an.
»Ich bin Beamter der Einwanderungsbehörde. Ich bekam den Auftrag, Ihnen zu folgen, als Sie sich
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