Alle Tränen dieser Erde
am Tag seiner Geburt bei einem Verkehrsunfall getötet. Vielleicht war es dieses Unglück, verbunden mit einer besonderen Geisteshaltung, das hervorrief, daß er sich wie ein Besessener mit den letzten Worten Sterbender befaßte. Er stieß auf sie, wie auf Kunst und Liebe, sehr früh; letzte Worte sind die Titel aller seiner Schöpfungen. Als er mit fünf Jahren Zugang zum Kunstcomputer-Terminal seiner Mutter hatte, scheint das Schöpferische ein fortlaufender Prozeß bei ihm gewesen zu sein, jedenfalls bis zu den verlorenen Jahren seiner mittleren Periode.
Sein erstes großes Werk ›Die Sonne, meine Liebe, die Sonne ist Gott‹ datiert von 1979. Seine Kontrapunktsätze ineinander verflochtener Strukturen, die in einem abgeschwächten Parallelismus kulminieren, stellen eine Hinwendung zur Repräsentation dar, die selten wiederkehrt – Daylings Kunst ist die einer Welt jenseits weltlicher Wahrnehmung. Obwohl das Werk nicht gut integriert ist, bleiben sein Wagemut und die Leichtigkeit beständige Vorzüge, und in seiner Gesamtspiralbewegung steht es als passende Erklärung zu dem Maler Turner, dessen letzte Worte den Titel liefern, und dessen Leben den jungen Dayling inspiriert hat.
›Mehr Licht, mehr Licht.‹
Goethes letzte Worte, und schematisch dem ersten Werk zugeordnet. Ehrgeiziger, wenig intensiv, schon mit einem deutlichen Bewußtsein für die neue Sprache, die Dayling schuf. Er ertastet noch unsicher den Weg zu.
›Gebt Dayrolles einen Stuhl‹, unzweifelhaft ein frühes Meisterwerk, mit seinen mobilen, sich nie wiederholenden Reihen peripherer Lichter und der ersten Anwendung dieser zentralen Dunkelheit – wenn man von Düsternis ebenso spricht wie von Strahlenglanz – die später ein durchgehender Zug von Daylings Werk wurde. Hier kein Hinweis auf die Außenwelt, es seien denn die grundlegenden formellen Strukturen der physischen Erscheinungen selbst. Eine gewisse Delikatesse der ganzen Komposition erinnert uns daran, daß die Worte von dem sterbenden Lord Chesterfield gesprochen wurden.
›Ich habe unzumutbar lange zum Sterben gebraucht.‹
Dieses Werk ist auch bekannt als ›Öffnet die Vorhänge, damit ich noch einmal das Tageslicht sehe‹ } anscheinend infolge der Unsicherheit darüber, wie die letzten Worte von König Karl II. wirklich gelautet haben. Der erste Titel ist auf jeden Fall vorzuziehen, da dieses Werk das Ende des ersten Stadiums von Daylings Laufbahn bezeichnet; wie die drei vorausgehenden Werke nimmt es das Licht zum Thema, und die stürmischen Ausstrahlungen deuten auf eine Vielzahl von Lichtdiffusionen. Von nun an wird das Werk lebendiger und gröber, als Dayling sein Leben und sein Medium meistert. Sein Bericht beginnt mit den Worten, die fast von Rabelais sein könnten:
›Ich könnte eine von Bellamys Fleischpasteten vertragen,‹ an geblich die letzten Worte von einem der größten Premierminister Englands, William Pitt dem Jüngeren. Daylings erstaunlich schwellende Formen treten zum erstenmal auf, noch nicht dominierend, aber gewiß im Aufsteigen begriffen. Das ist ein großes Werk, fast von der Größe des Parlaments, mit dem es manchmal scherzhafterweise verglichen wurde, und für Dauerhaftigkeit verwendeten Dayling und der Computer ›Tagelichu‹, einen Kunststoff ihrer eigenen Erfindung, mit halbflüssigem Kern. Mit ›Tageslicht‹ wurde der berühmte ›Schmelzausdruck‹ entwickelt, so daß in manchen der späteren Werke, wie ›Ich möchte, daß die ganze Menschheit nur einen Hals hätte, und ich die Hände darum‹, beruhend auf den Worten des Massenmörders Carl Panzram, oder ›Wenn das das Leben ist, her mit dem Bakterienkrieg‹, nach dem schottischen Patrioten McGuffie, und ›Natürlich war die verflixte Ziege eine Übertreibung‹ des Malers Holman Hunt. Nicht zu bestimmen ist, ob die Formen aus dem Obskuren, der Formlosigkeit auftauchen oder in das Obskure und Formlose zurückgedrängt werden. Vielleicht liegt es an diesem Sinn, den ein Kritiker, André Prederast, ›Zellularbedrückung‹ genannt hat, daß man Dayling als einen neuen Rodin bezeichnete; aber Rodin beherrschte seine Bildhauerei; die zögernde Aussage von ›Welches Bett-Ende nun das richtige ist …‹ wäre ihm unerreichbar. Daylings morbide Befangenheit mit dem Tod und sein Humor ergänzen einander und zwingen ihn, stets am Rande der Auflösung zu arbeiten, dort, wo Sein zum Nicht-Sein wird. Obwohl seine Einstellung kaum wissenschaftlich genannt werden kann, ist das Ausmaß,
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