Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
trotz Jugendschutzgesetz.
Als ich mal aufs Klo mußte, rief mir der Bohnekamp nach: »Hattu Harndrang? Muttu pinkeln!«
Die Stadtschänke hatte was Verruchtes an sich.
Falls ich mit ’ner Bierfahne zuhause angekommen sein sollte, merkte Mama nichts davon. »Tritt dir die Schuhe ab!« rief sie, wie immer, und dann erzählte sie, daß die alte Frau Borchers gestorben sei. »Die mit ihrem Tatterich! Das muß ja für die selbst bald ’ne Erlösung gewesen sein ...«
Um meine Finanzen aufzubessern, nahm ich Mama das Fensterputzen ab, für eine Mark fünfzig pro Fenster, und das war schwerverdientes Geld, weil wir fast überall Doppelfenster hatten und die Außenfenster in lauter Butzenscheibchen unterteilt waren, die man nicht so lässig putzen konnte wie ’ne großflächige Glasfront. Nach dem Sauberwischen mußte jede Ecke mit geknülltem Zeitungspapier trockengerieben werden, und wenn danach das Sonnenlicht auf die geputzten Fenster knallte, sahen sie schmieriger aus als die ungeputzten. Es half auch nichts, mit dem Papier noch einmal drüberzugehen. Da konnte man nur ganz von vorn anfangen.
Wenn ich mich nicht verrechnet hatte, sprangen für jedes geputzte Butzenscheibchen rund sechs Pfennig für mich heraus.
Eine Heidenarbeit. Als Erwachsener wäre ich lieber in irgendeine fensterlose Gruft gezogen als in einen Palast mit tausend Doppelfenstern, die ich selber hätte putzen müssen.
Von manchen Fensterstreben bröckelte der Lack ab, und am widerlichsten war das Einsammeln der toten Stubenfliegen, die zwischen den Innen- und Außenfenstern herumlagen, mumifiziert, mit gekreuzten Beinen.
Am zweiten Osterferientag erhielt Papa einen Brief vom Kreisgymnasium, unterschrieben von Direktor Berthold persönlich.
Sehr geehrter Herr Schlosser,
Ihr Sohn Martin ist am 22.3.1977 in der 5. und 6. Stunde unentschuldigt dem Unterricht ferngeblieben. Damit hat Ihr Sohn gegen die Schulordnung verstoßen. Ich erteile Ihrem Sohn hiermit eine schriftliche Verwarnung. Ich darf Sie bitten, auf Ihren Sohn einzuwirken, daß er in Zukunft solche Verstöße gegen die Schulordnung unterläßt.
Es war dann aber Mama, die auf mich einwirkte, und zwar nicht zu knapp. Was ich mir dabei gedacht hätte. »Willst du dir deine ganze Zukunft verbauen? Als Schulschwänzer? Sieh mich an, wenn ich mit dir rede!«
Über die Frage, was aus mir werden sollte, hatte ich selber schon nachgedacht. Fußballprofi? Das war nicht so einfach, wie ich mir das mal vorgestellt hatte. Und um als Politiker zu reüssieren, hätte ich jeden Tag über »Eckwerte« und »Steuerpakete« quatschen müssen. Wie schafften die Politiker das überhaupt, sich mit allem und jedem auszukennen, vom Lombardsatz bis zur Hallstein-Doktrin?
Um ein bißchen besser dazustehen im Leben, zog ich mir die Strümpfe aus und beschnibbelte meine Zehnägel. Am härtesten und längsten war die Rinde vorn am linken großen Onkel, und ich nahm mir vor, das abgeschnittene Nagelstück meinem nächsten Brief an Michael Gerlach beizulegen, als Gruß aus dem Emsland.
In der Einfahrt lud ein Lkw zwanzig Kubikmeter Torf ab, die Papa für seine Hügelbeete geordert hatte. Der Torf mußte per Schubkarre in den Garten befördert werden. Papa hatte vorher Gräben ausgeschachtet, und die befüllte er jetzt nach einem ausgeklügelten System mit zerkleinertem Strauchwerk, alten Rasensoden, gesiebter Komposterde und Torf.
Sein großes Sieb hatte Papa mit Seilen an unserem alten Schaukelgestell festgebunden, und da rüttelte er die draufgeschippte Erde durch. Volker half mit.
Mama pflanzte währenddessen Blumenzwiebeln: Riesentulpen, Prunktulpen und Edeltulpen.
»Dann kann hier ja die nächste Bundesgartenschau steigen«, rief unser Nachbar Dr. Schmölders durch die Hecke, der sich sonst nie blicken ließ, und fast im selben Moment parkte der Lohmann bei uns ein und fragte nach dem Aussteigen: »Ist der Meister zuhause?«
Damit war Papa gemeint. Angesichts der Torfmassen sagte der Lohmann: »Das darf doch nicht wahr sein.« Da werde ja der Hund in der Pfanne verrückt.
Frau Lohmann war mitgekommen, um mit Mama die Reiseroute zu planen. Barbados zuerst und danach Caracas und Maracaibo.
In der Spitzenbegegnung des 27. Spieltags trennten sich Gladbach und Braunschweig mit 1:1. Es blieb spannend.
Auf Teneriffa waren zwei Jumbojets zusammengeknallt, ein holländischer und und einer von Pan Am, und Hunderte von Passagieren hatten dabei ihr Leben gelassen.
»Das haben sie nun davon«, sagte Papa.
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