Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Beobachtungsbunker ankucken zu müssen oder von innen alle möglichen Pulverlaboratorien und Drucksimulatoren, aber Papa war scheint’s doch irgendwie stolz darauf.
»Mich interessiert das alles nicht so«, hatte ich irgendwann gesagt, um einen weiteren Abstecher zu verhindern, und daran mußte ich noch abends denken, im Bett. Papa opferte sich da auf, und sein Herr Sohnemann wollte nichts davon wissen. Aber wenn es doch wahr war?
Von den militärstrategischen Machenschaften auf der E-Stelle wollte ich wirklich nichts wissen.
Im Spiegel standen Zitate aus einem Report über das sexuelle Erleben der Frau. Vier Fünftel der befragten Frauen im Alter zwischen 14 und 78 Jahren würden regelmäßig masturbieren, und 95% von denen würden dabei zum Orgasmus kommen. Eine Frau hatte gesagt, daß sie zum Masturbieren die Rückenlehne eines Schreibtischstuhls benutze.
Wie man sich das wohl vorzustellen hatte. Setzte diese Frau sich da rittlings drauf? Und dann?
Der Arbeitgeberpräsident Schleyer war entführt worden, in Köln, von Terroristen, die bei dem Überfall mehrere Leute erschossen hatten. Ich lief in den Keller, um Papa davon zu berichten, und dann lief ich wieder hoch.
In Bonn würden Betroffenheit, Ratlosigkeit und Wut und Trauer herrschen, sagte der Fernsehjournalist Friedrich Nowottny, aber als Papa aus dem Keller hochgestiefelt war, kamen bloß noch lauter langweilige Nachrichten zur Lage der Konjunktur. Ernst-Dieter Lueg interviewte Egon Bahr, der sich für die steuerliche Entlastung mittlerer und unterer Einkommen aussprach, und darauf folgte irgendwelcher Mist über Entwicklungshilfe und Verkehrslärm. Erst ganz zum Schluß wurde bekanntgegeben, daß es in der Spätausgabe noch einmal um den Fall Schleyer gehen werde, und es folgte die Wettervorhersage über die Ausläufer eines Sturmtiefs: »Im Norden gelegentlich auflockernde, sonst starke Bewölkung ...«
Papa ging wieder in die Werkstatt runter, wo er Gott weiß was zu reparieren hatte, aber Mama holte ihn wieder rauf, als Helmut Schmidt eine Erklärung der Bundesregierung abgab. »Uns alle erfüllt nicht bloß tiefe Betroffenheit angesichts der Toten, uns erfüllt alle auch tiefer Zorn über die Brutalität, mit der die Terroristen in ihrem verbrecherischen Wahn vorgehen. Sie wollen den demokratischen Staat und das Vertrauen der Bürger in unseren Staat aushöhlen«, sagte Schmidt. »Der Staat muß darauf mit aller notwendigen Härte antworten.«
Während unsereiner sich mit der Oxidationszahl von Alkalimetallen herumplagen mußte, beriet der Große Krisenstab in Bonn über die Forderung der RAF, Andreas Baader und zehn andere Terroristen gegen Schleyer auszutauschen.
Hermann glaubte nicht, daß die Entführer damit durchkämen. »Die haben doch ’n Knall, wenn sie glauben, sie müßten nur mal hier ’n Unternehmer kidnappen und da ’n Bankier und dessen Leibwächter umnieten, um sich bei der Arbeiterklasse lieb Kind zu machen ...« Er kenne sich ziemlich gut aus im Proletariat, jedenfalls in dem von Rütenbrock, und wenn das auch nur halbwegs repräsentativ sei, dann sehe er schwarz für die RAF und deren revolutionäre Pläne.
Gestoppt hatten die Terroristen Schleyers Autokolonne in einer Seitenstraße und dann die Leibwächter mit Kugeln durchsiebt. Die große Frage war, wo die Geisel jetzt versteckt gehalten wurde.
»In Pjöngjang«, sage Hermann. »Weit, weit weg. Oder irgendwo hier – in Rühlermoor! Da käme doch nie einer drauf, die Kuhställe zu durchsuchen!«
Ach ja, und es sei ihm zu Ohren gekommen, daß ein paar Typen aus der Oberstufe vorhätten, eine Schülerzeitung zu gründen. »Da könnten wir mitmachen. Die suchen noch nach Redakteuren aus der Mittelstufe.«
Volker, Wiebke und ich sollten jeder neue Schuhe kriegen, in Lingen, wo die Auswahl größer war als in Meppen. Auf der Fahrt dorthin las ich die Zeit , obwohl mir vom Lesen im Auto oft schlecht wurde, aber das wäre immer noch besser gewesen als die Sabbelei mit Mama, Volker oder Wiebke.
Wann werden die intellektuellen Brutstätten der gewalttätigen Radikalität einmal in Augenschein genommen? Geschieht dies nicht, wird nur an Symptomen operiert, nicht an Ursachen.
Diese intellektuellen Brutstätten hätte ich ja gern mal kennengelernt, von innen, aber dafür hätten wir ein bißchen weiter fahren müssen als bis Lingen.
In den Schuhgeschäften strömte einem der Ledergestank entgegen, und natürlich war in meiner einen Socke vorn ein Loch, obwohl ich gedacht
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