Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
hatte, ich hätte eins der heilen Sockenpaare angezogen.
Am blödesten war das Probelaufen. Wer konnte schon nach zehn Sekunden sagen, ob ihm Schuhe gut paßten, die er zum erstenmal anhatte?
Ich bleib beim vierten Paar, weil ich keine Lust dazu hatte, das fünfte anzuprobieren, und ich hätte den Tag schon fast abgehakt, als sich Mama plötzlich von ihrer spendablen Seite zeigte. Für mich fiel dabei eine LP ab, »Beatles For Sale«, auf der ziemlich viel Schrott drauf war, aber allein für den Song »I’m a Loser« hatte sich die Einkaufsreise gelohnt.
My tears are falling like rain from the sky,
Is it for her or myself that I cry ...
»Genau hier habe ich gesessen, als ich dieses Lied zum erstenmal gehört habe«, würde ich später einmal zu Michaela Vogt sagen, wenn zwischen ihr und mir alles geklärt wäre, »und nun rate mal, an wen ich dabei gedacht habe ...«
Dann würden wir beide lächeln, aber Michaela wäre anzusehen, daß sie die Vorstellung, wie intensiv ich hier an sie gedacht hatte, bewegend fände, und ich würde sagen: »Das liegt alles so weit hinter mir ...«
Und Michaela würde sagen: »Ich hab immer nur auf dich gewartet, Martin.«
Und ich würde sagen: »Jetzt brauchst du nicht länger zu warten.«
Und dann würde draußen der Mondschein durch die Wolken brechen, und es wäre alles gut, für immer.
Meine Fußballschuhe hatte ich an den Nagel gehängt, aber die anhaltende Formschwäche der Gladbacher ärgerte mich trotzdem. Inzwischen wurden selbst die Stuttgarter frech und machten Gladbach platt, mit 2:0. Vielleicht war Udo Lattek ja doch der falsche Trainer. Ich hätte lieber Hennes Weisweiler wiedergehabt, der jetzt die Kölner trainierte.
Volker kam erst nachts um zwei nachhause und wurde oben auf dem Flur von Mama abgefangen: Was er sich eigentlich denke und so weiter. Auch nicht gerade schön, sich noch als Achtzehnjähriger von der eigenen Mutter zusammenstauchen lassen zu müssen wie so ’n Kleinkind mit Milchbart und Ringelsocken.
Weil Volker danach seine Zimmertür zugeknallt hatte, kriegte er gleich noch den nächsten Anpfiff. Und dabei sollte man pennen können!
Trautes Heim, Glück allein.
Lust zu einem Sonntagsausflug nach Jever mit Mama hatte außer mir nur Wiebke, und wir wären wohl noch rechtzeitig zum Mittagessen angekommen, wenn dieses dumme Huhn eine weniger schwache Blase gehabt hätte. Alle paar Kilometer mußte Mama anhalten, damit Wiebke in irgendwelche Sträucher schiffen konnte. Die armen Würmchen, die da im Erdboden vegetierten, in aller Stille, und auf einmal werden sämtliche Gänge mit Mädchenpisse geflutet ...
In der Mühlenstraße war der graue Treppenaufgang zur Haustür mit orangen Steinen verklinkert worden. Der hatte vorher besser ausgesehen, fand ich, aber Oma war anderer Meinung: »Das ist doch wunderhübsch!«
Gustav saß in seinem Zimmer und ochste fürs Studium.
Wir kriegten aufgewärmtes Essen hingestellt, Rindsragout mit Erbsen und Pellkartoffeln und zum Nachtisch Götterspeise, und die ganze Zeit erzählte Oma von ihrem und Opas Besuch bei Tante Therese in England. In Basildon sei es so herrlich ruhig, und der Garten sei so schön! »In London sind wir wohl auch mal gewesen, Vati und ich, aber in der Oxford Street ist uns das Menschengewimmel direkt unheimlich geworden ...« Sie hätten auch den Lake District besichtigt und eine Fahrt mit einer Schmalspurbahn gemacht, »richtig mit Dampf, o jungedi, was glaubt ihr wohl – da sollte es über eine Zugpaßstraße gehen, aber wir hatten uns keine Vorstellung gemacht, was uns da blühte! Das war atemberaubend!« Wie in einer Achterbahn hätten sie sich gefühlt, und als es nach einer Dreiviertelstunde rasender Fahrt immer noch höhergegangen sei, habe Bob gesagt: »Next station heaven!«
Von Tante Therese hatte Oma einen neuen Trägerrock gekriegt, den sie Mama stolz vorführte.
Kimmie habe sich bei Reuters, wo sie jetzt arbeite, gut eingewöhnt, und Norman sei immer so elegant gekleidet, wie ein Manager! Auf der Rückreise mit der Fähre seien dann leider lauter Soldaten an Bord gewesen, die nach reichlich Biergenuß einen Mordskrach geschlagen hätten.
Im Schloßgarten suchten Gustav und ich vergeblich nach dem Pfau, und als ich den Enten Omas altes Brot hinbrocken wollte, kam ein aufdringlich quäkendes Paar Gänse anmarschiert, das überhaupt nicht mehr lockerließ. Diese aggressiven Biester machten Miene, mir mit dem Schnabel den Brotbeutel aus der Hand zu hacken, und ich
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