Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
oberen Klo, daß man sich fast in die Schlafanzughose strullte. Auf dem unteren thronte Papa, und das Badezimmer wurde von Volker blockiert. Der drückte sich da schon seit Stunden seine Eiterpickel aus und verbat sich jede Störung.
Wiebke wollte auch noch duschen, und weil sich die Dusche oben in demselben Raum wie das WC befand und Wiebke kein Erbarmen kannte, durfte ich natürlich nicht mal eben zwischendurch schiffen gehen, obwohl ich ihr meine akute Notlage eindringlich dargelegt hatte, mit Worten und auch mit Fußtritten gegen die Klotür.
»Schluß mit dem Spektakel!« rief Mama von unten hoch. »Ihr seid wohl verrückt geworden!«
Mit einem Herzen voller Liebe zu Michaela Vogt einzuschlummern, das war das eine, und das andere war das Erwachen mit einer vollen Blase, die man nicht entleeren konnte, weil die eigene kleine Schwester einen beim Spurt zur Toilette abgehängt hatte.
Wiebke, die alte Wutz. Und der hatte ich mal ein Eis ausgegeben!
Ich bollerte mit der Faust an die Tür. »Wenn du nicht bald aufmachst, piß ich dir in deinen Ranzen!«
Vor Michaela Vogt hätte ich keine Geheimnisse haben wollen, aber es war gut, daß sie mich in diesem Augenblick nicht live erlebte.
Als Wiebke das Schlachtfeld endlich geräumt hatte, riß ich erst einmal das Klofenster auf, denn die Luft war zum Schneiden. Die Ausdünstungen einer Sextanerin, gepaart mit ätzendem Wasserdampf: Darauf konnten sich jetzt die Meppener Meisen freuen, die noch nicht an den Autoabgasen von der Georg-Wesener-Straße krepiert waren.
Beim Duschen flog mir wieder wie von selbst der miese Duschvorhang ans Hinterteil, und als ich mir dann einmal probehalber Volkers Naßrasierer trocken übers Kinn zog, schlitzte ich’s mir auf, und so begann der große Tag, an dem ich Michaela meine Liebe gestehen wollte.
»Kommst du denn nun bald mal runter, du alte Schlafmütze?« rief Mama.
Ein Pflaster auf die Wunde kleben? Oder mit einer blutroten Klinke im Gesicht herumlaufen?
Am Frühstückstisch befühlte Mama meine Hände. »Zeig mal her! Das darf doch wohl nicht wahr sein, was du wieder für steinharte Papierflossen hast! Die mußt du dir mal eincremen! Und was hast du eigentlich mit deinem Kinn gemacht?«
Das sei eine »contradictio in adiecto«, sagte Papa. »Steinharte Papierflossen!«
Volker und Wiebke gackerten, und ich stärkte mich mit zwei dickbeschmierten Nutellabrötchen für den schwersten Gang meines Lebens.
In der Penne war von Michaela vor Beginn der ersten Stunde nichts zu sehen. Mir tropfte die Nase, als ich den Klassenraum betrat, und in dem Scheißneonröhrenlicht sah alles anders aus als nachts in meinen Träumen.
Kreidestücke flogen durch die Gegend, und dann wurde die Sitzordnung geändert, weil wir als Neuzugang in der Klasse eine Gestalt namens Dürrkopp erhalten hatten, einen muskulösen Typen mit Kartoffelnase und einem Kinn wie ’ne Schneeschaufel, und der pflanzte sich dann natürlich genau neben Ralle und mich.
Gegenüber, am anderen Ende der Bestuhlung, hatte mittlerweile auch Michaela Vogt ihren Platz eingenommen. Sie sah so melancholisch aus wie eh und je und würdigte weder mich noch sonst jemanden eines Blicks.
Ungefähr zehn Minuten vor Ende der ersten Stunde sagte der Dürrkopp, nachdem er sich die ganze Zeit über sehr ruhig verhalten hatte: »Heute ist Stichtag.« Und dann stach er Ralle mit der Zirkelspitze durchs Hemd in den Unterarm.
Meinen Vorsatz, bei der erstbesten Gelegenheit frontal auf Michaela zuzugehen und ihr mein Herz auszuschütten, ließ ich fallen. Wie hätte ich mich da denn ausdrücken sollen? »Hallo, Michaela! Darf ich dir mal was sagen? Ich bin total verliebt in dich. Willst du meine Freundin werden?«
Würg.
In der großen Pause schlenderte sie vor dem Mofaparkplatz auf und ab, ganz allein, die Schultern hochgezogen, einen bunten Schal um den Hals, und sie aß einen Apfel dabei.
Jetzt. Geh einfach hin, Martin Schlosser! Geh hin zu ihr, verwickle sie in ein Gespräch und laß deinen Charme spielen! Das kann doch wohl nicht so schwer sein!
Und was soll ich ihr sagen?
Das fällt dir dann schon ein!
Von wegen. Ich würde mich sofort verhaspeln. Stottern würde ich, so wie der verknallte Obelix vor Falbala: »Wkrstksft!« Und weil ich diesen peinlichen Blackout nie wieder ungeschehen machen könnte, müßte ich mich anschließend im Dortmund-Ems-Kanal ersäufen.
Angsthase, Pfeffernase, morgen kommt der Osterhase!
Vom Casanova zur Wasserleiche.
Es hatte alles keinen
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