Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
an.
Es konnte einem schlecht werden vor Wut, wenn man das sah. Als ich aus dem Kino wieder rauskam, hätte ich gern irgendwas kaputtgetreten oder eingeschmissen oder umgerissen. Wetten, daß auch die bundesdeutschen Atomkraftwerksbetreiber genauso schurkisch gehandelt hätten wie die Gangster in dem Film?
An einem Abend waren Tante Dagmar und ich bei Onkel Rudi und Tante Hilde zu Gast. Pfötchen geben, ein Glas Wein trinken und Kräcker futtern.
Es kamen die üblichen Fragen nach dem Allgemeinbefinden der Meppener Schlossers, und dann kreiste das Gespräch um Tante Therese und den juvenilen Messerstecher, der ihr nach dem Leben getrachtet hatte.
»Ich frage mich ja, was bringt so’n Kind nun überhaupt auf die Idee, jemanden so brutal zu überfallen, der ihm gar nichts getan hat«, sagte Tante Hilde und spielte dabei mit den Fingern an den Perlen ihrer Halskette. »Und dann noch jemanden aus der unmittelbaren Nachbarschaft! Ich meine, Therese ist doch die Herzensgüte selbst und eine Seele von Mensch. Wie kann man bloß auf den Gedanken verfallen, der auch nur das kleinste bißchen zuleidezutun? Da kann doch das Familienleben bei den Leuten nebenan nicht ganz und gar intakt gewesen sein. Das müßte man doch sonst merken, wenn ein Kind sich nicht mehr normal verhält, sondern irgendwelche kriminellen Pläne ausbrütet. Das kommt doch nicht von ungefähr!«
Gegen Ende der Konversation entstand ein kurzer Disput zwischen Onkel Rudi und mir. Er hatte sich kritisch über »die Linksintellektuellen« in der Bundesrepublik geäußert, und ich hatte ihn gefragt, welche Intellektuellen denn die Rechten aufzubieten hätten.
Die Antwort erfolgte nach einem kurzen Intervall, in dem Onkel Rudi sich mit seinen grauen Zellen beraten hatte: »Kurt Ziesel.«
Kurt Ziesel! Das war ein Ewiggestriger, von dem man als konkret -Leser wußte, daß er in der Nazizeit seine eigene Putzfrau bei der Obrigkeit angeschwärzt hatte.
»Du machst Witze«, sagte Tante Dagmar, und dann fuhren wir zurück, mit dem Taxi, nach Tante Dagmars bewährtem Grundsatz, daß ihre Erben zu Fuß laufen dürften.
Als ich mit dem Zug in Meppen wieder angerückt war, holte kein Schwein mich ab, obwohl ich meine Ankunftszeit – 18.06 Uhr mitteleuropäischer Zeit – telefonisch deutlich durchgegeben hatte, und ich mußte den ollen Koffer Meter für Meter von Hand bis zur Georg-Wesener-Straße 47 wuchten.
Papa war im Keller am Werkeln, wie immer, und Wiebke saß vor der Glotze.
Schöner Empfang.
In der Nacht von Samstag auf Sonntag wurden die Uhren eine Stunde vorgestellt. Dieser Mist machte mich jedesmal kirre. Was sollte das denn bloß?
Aus England brachte Mama tausenderlei Kurznachrichten an über den Verlauf des Attentats und über Tante Thereses Konstitution, doch dafür hatte ich kein Ohr. Ich war am Packen für Florenz. Zum Lesen nahm ich ein dickes Buch von Sigmund Freud über die Traumdeutung mit, das ich im Funkhaus abgestaubt hatte.
Kurz vor der Abfahrt schoß Mama im Flur ein Foto von mir mit Rucksack auf, und dann ging’s ab.
Am Bahnhof waren wir viel zu früh, aber die anderen waren auch viel zu früh. Angela mit ihrer Mutter und Udo mit seinen beiden Alten. Und was für Massen von Gepäck! Außer ihrem Rucksack und dem Zelt hatte Angela noch vier oder fünf Taschen dabei, und auch Udo war beladen wie ein Wüstenkamel.
»Dann wollen wir mal hoffen, daß unsere Ableger nicht allzuviel Unfug anstellen«, sagte Mama zu den anderen Müttern.
Udos Vater studierte den Fahrplan.
Und dann, als der Zug endlich kam, ließ Mama auf einmal noch einen Schwall Ermahnungen auf mich los: »Paß bloß immer gut auf deine Moneten auf! Und laß nie das Gepäck irgendwo unbeaufsichtigt stehen! Gerade auf großen Bahnhöfen, da klauen sie wie die Raben! Und wenn ihr in Florenz seid, dann treibt euch da unter keinen Umständen bei Dunkelheit in irgendwelchen Seitengassen rum! Und vergiß nicht, dich auch mal zu waschen! Und ruf mal kurz an, wenn ihr da seid!«
Erstmal reinballern in den Zug, das Gepäck. Alles drin? Alles drin.
Der Schaffner pfiff, und Mama rief: »Mach mir bloß keinen Kummer!«
Wie war denn das nun wieder gemeint?
Wir machten es uns in einem freien Raucherabteil gemütlich.
Udo lachte. »Meine Fresse, was ’ne Aufregung!«
Ich packte die Weinflasche aus, und erst da fiel mir auf, daß es zweckmäßig gewesen wäre, einen Korkenzieher mitzunehmen.
»Also, für mich brauchst du die nicht aufzumachen«, sagte Angela.
»Für mich
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