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Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)

Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)

Titel: Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Henschel
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Berlin gesehen haben mußte, war natürlich auch der Osten. An der Grenzübergangsstelle Heinrich-Heine-Straße wurde die Frankfurter Rundschau konfisziert, die ich arglos eingesteckt hatte, und man knöpfte uns jeweils 25 Mark ab. Die DDR -Regierung kriegte den Hals nicht voll, wenn’s um Westgeld ging, und sei’s auch nur das von armen Schluckern wie Hermann und mir.
    Nun denn: War man also auch mal im Paradies der Werktätigen. Und was fiel einem da so auf? Es gab von allem weniger – weniger Verkehr, weniger Reklame, weniger Farben, weniger Geschäfte und in den Geschäften weniger Waren, aber doch das Lebensnotwendige.
    Und ich hätte trotzdem nicht in einem Staat leben wollen, der mir aus Furcht vor klassenfeindlicher Propaganda die Frankfurter Rundschau wegnahm.
    Die zwangseingetauschten Moneten legten wir in flüssiger und fester Nahrung an, weil wir keine Bücher gefunden hatten, die uns gefielen. Und nachher hätte man die vielleicht ja auch gar nicht ausführen dürfen aus der DDR .
    Die gegrillten Hähnchen hießen Broiler und die Bullen Vopos.
    Abreisetag. In Dreilinden standen die Anhalter dicht an dicht, und auf jeden Wagen, der rechts ranfuhr, setzte ein Run ein. Ringsherum, an allen Fenstern, drängelten sich ganze Trauben von Trampern und überschrien sich: »Fahren Sie Richtung Bremen?« – »Fährste die A 2 lang?« – »Düsseldorf! Fahren Sie über Düsseldorf?« – »Mir würde Braunschweig reichen!« – »Is’ hinten noch Platz?« – »Wir müssen bloß bis Minden!« – »Hildesheim? Hildesheim?«
    Blamabel. Man dachte doch, daß Tramper was besseres wären als die breite Masse, aber schon bei zwei Dutzend auf einem Haufen schlugen die atavistischen Instinkte durch. Hier hatte man sie mal leibhaftig vor sich, die vielgescholtene Ellenbogengesellschaft. Andernorts galt die Regel: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. In Dreilinden galt das Gesetz des Dschungels: Wer die größte Fresse hat und sich am ruppigsten benimmt, der siegt. Am schlimmsten war’s, wenn solo besetzte Autos mit Großstadtkennzeichen stoppten: H, HB , OS , GÖ oder DO oder F wie Frankfurt oder K wie Köln oder gar M wie München – hei, wie da die Fetzen flogen!
    Das warf alles kein gutes Licht auf die Tramperzunft.
    Wir freuten uns allerdings auch nicht darüber, daß die Menge der Tramper stetig anschwoll. Neue Gesichter wurden in Dreilinden nicht gern gesehen.
    »Wie lange steht ’n ihr schon hier?«
    »Och, ’ne halbe Stunde oder so …«
    »Und wo wollt ihr hin?«
    Verheerend sah es für zwei Briten aus, die einen Kontrabaß dabeihatten und seit dem Vorabend auf ihre Erlösung hofften. Ein besonders verwegener Aspirant hielt ein Schild mit der Aufschrift »Paris« in der Hand.
    Einmal fuhr die Polizei vor und befehligte alle Tramper hinter einen Metallgitterzaun zurück, der da stand, doch die Wirkung dieses Eingriffs hielt nicht lange vor.
    Wenn mehrere Autos auf einmal stoppten, schnellten unsere Gewinnchancen in die Höhe. Vorne eine Ente aus Leverkusen, dahinter ein alter Mercedes aus Stuttgart und an dritter Stelle ein VW -Bus aus Wiesbaden, so lief das manchmal, und es wurde hastig hin und her gehühnert. Während ich mich um eine Nische in einem obskuren Gefährt aus Salzgitter bewarb, schoß Hermann wie ein Raubvogel auf einen R4 aus Lingen zu, ergatterte zwei Plätze und signalisierte mir wild wedelnd, daß ich unser Gepäck herbeischaffen solle. Das wollte ich ja auch tun, aber die eine Schnalle von Hermanns Rucksack hatte sich im Zaungitter verhakt, und als ich endlich angestöpselt kam, hatten sich in dem R4 bereits zwei Weiber auf der Rückbank breitgemacht.
    Nur nach Helmstedt wollte immer keiner mit, weil das nicht weit genug war und man dort ja bloß die Wagen vor sich haben konnte, die schon in Dreilinden entweder vorbeigefahren oder mit Trampern gefüllt worden waren. Aber nach anderthalb Stunden riß uns der Geduldsfaden, und wir stiegen bei jemandem ein, der uns an der Raststätte Helmstedt wieder rausließ.
    Wir sprachen die Fahrer im Tankstellenbereich an. Jedenfalls die, die uns halbwegs zurechnungsfähig erschienen. Manche ließen sich die abstrusesten Ausreden einfallen: »Mein Wagen ist bis obenhin voll« (obwohl hinten alles frei war), »Ich fahr schon die nächste Abfahrt runter« (trotz Gütersloher Kennzeichen), »Ich würde ja gern, aber das ist das Auto von meinem Schwager, und der erlaubt das nicht«, »Sorry, echt, aber das issen Firmenwagen«, »Dieser Pkw ist nur für zwei

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