Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Personen zugelassen, ehrlich, ohne Scheiß …«
Es gelang uns schließlich, einen Audi aus Rheine zu entern. Der Fahrer war vom Vegetarismus beseelt und belehrte uns über Ballaststoffe, Bircher-Müsli, vegetabile Rohkost, linksdrehende Milchsäure und eiweißreiche Hülsenfrüchte. Es gebe Ovo-Vegetarier, Lacto-Vegetarier und Ovo-Lacto-Vegetarier. Die einen würden kein Fleisch und keinen Fisch, aber dafür auch keine Eier essen und die anderen zwar Eier essen, aber keine Milch trinken. Oder umgekehrt. Mit mehr als einem halben Ohr mochte ich da nicht zuhören. Ovo-Lacto-Vegetarier, das klang für mein Gefühl zu sehr nach Kirchentag und Diabetes.
Von Rheine bis Meppen war es dann nur noch ein Katzensprung.
Heike erklärte uns für minderbemittelt, weil wir in Berlin in keine Disco gegangen waren. »Ihr hättet’s doch wenigstens mal versuchen können! Aber laß man, in euerm schedderigen Aufzug wärt ihr sowieso nirgends reingelassen worden …«
Seit der Geburt von Lisa Philine Blum (* 12. 6. 81, 21.26 Uhr) war ich nun also Onkel. Volker sollte Patenonkel werden.
Für das Gebären hatte Renate sich eine besonders fabulöse Klinik in Siegburg ausgesucht.
Angeblich gab es ja »Gebärneid« unter Männern, aber davon brauchte mir keiner was zu erzählen. Erst die Schwangerschaft mit ihren unerquicklichen Begleiterscheinungen, dann die Wehen und als Sahnehaube die Geburtsschmerzen? Da hätte ich doch gaga sein müssen, um die Frauen darum zu beneiden.
Mama und Papa stießen im Wohnzimmer mit Cointreau an, aber nur mit wenig, wegen Mamas Gastritis.
Auf dem Kulturprogramm stand dann ein Open-Air-Konzert in Schüttorf: The Cure, Ideal, Marilyn Rock und Schroeder’s Roadshow für 16 Mark Eintritt. Ich trampte mit Heike hin. Hermann konnte nicht mit; der war in Rütenbrock als Schwarzarbeiter auf dem Bau beschäftigt.
Die ganze Tramptour lief wie am Schnürchen, im schönsten und vor allen Dingen nicht zu grellen Junisonnenschein, und durch die offenen Autofenster kamen Frühlingsdüfte angerauscht, vorausgesetzt, man schlich nicht hinter einem Gülle-Fuhrwerk her.
In Schüttorf mußten wir zur sogenannten Vechtewiese hin. Da hatten wir noch locker Zeit, um das Zelt aufzubauen (ich) und ein Sonnenbad zu nehmen (Heike).
Viele Männer sah man an die Bäume schiffen.
In dem Flüßchen Vechte konnte man textilfrei baden, wenn man das mochte. Einem Mann, der bis zur Brust im Wasser stand, hatte eine nackte Frau die Arme um den Hals geschlungen und die Beine ums Becken, und in dieser Stellung knutschten sich die beiden ab, wobei der Po der Frau unter der schaukelnden Wasseroberfläche moussierte. Einfallswinkel und Brechungswinkel. Als der Mann mal Luft holte, dachte ich: Den Krauskopf kennst du doch? Und ich hatte mich nicht vertan: Der Mathelehrer Wiepert war’s.
Ich machte Heike auf dieses Naturschauspiel aufmerksam und wurde rüde von ihr zurechtgewiesen, weil ich den Begriff »Badenixe« verwendet hatte. Mit solchen Schmähworten – »Nixe«, »Flittchen«, »Schlampe« – fange die Gewalt gegen Frauen an, und am anderen Ende der Skala stünden Körperverletzungen mit Todesfolge.
»Nu mach aber mal ’n Punkt!«
»Nee«, sagte Heike. »Den mach du mal lieber selber.«
Machte ich dann auch.
Bis auf der Bühne alles eingerichtet war, vergingen Stunden, und als das Spektakel endlich anfing, hatte ich schon fast keine Lust mehr. Um von den Musikern mehr als nur Schemen zu sehen, hätten wir ’n Opernkucker haben müssen. Zur Rampe durchboxen wollten wir uns aber auch nicht. Wie so’n Dosenhering zwischen lauter tanzwütigen Maniacs stehen?
Von der Beschallung unter freiem Himmel hatte man im Endeffekt nur Mückenstiche.
Damit man auf der Gartenterrasse sitzen konnte, ohne von der Straße aus gesehen zu werden, konstruierte Papa eine zwei Meter hohe Palisade aus Pflöcken und Latten. Arbeitsgänge: Messen, Sägen, Hobeln, Fräsen, Leimen, Schmirgeln, Feilen, Fegen, Streichen, Imprägnieren, Trocknen, Bohren, Schrauben, Graben und Verankern.
Auf dem Couchtisch lag der Durchschlag einer Gutschrift: 8890 Mark hatten Mama und Papa dem Hamburger Reisebüro überwiesen. Wenn das nicht der Preis der Weltreise gewesen wäre, sondern die Entschädigung dafür, daß man sie auf sich nahm, dann hätte selbst ich so eine Reise eventuell in Erwägung gezogen. Aber auch noch blechen für den Streß?
Am Harener Dankernsee, wohin Heike und Henrik mich verschleppt hatten, trafen wir Hoppy. Der verstand die Welt
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