Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
genau, das ist das erste und das letzte Mal, daß ich das über mich ergehen lasse.
Mama hatte Sternchennudelsuppe gekocht, aber ich war nicht dafür zu haben, obwohl ich Sternchennudelsuppe sonst immer die Note 2 gab. Ich hatte Kopfweh und Halsweh.
Doktor Kretzschmar kam und stellte fest, daß meine Mandeln rausmußten oder meine Bronchien und Polypen. »Nach der Operation wirst du leichte Schluckbeschwerden haben«, sagte Doktor Kretzschmar, »aber dafür darfst du pfundweise Schokoladeneis mampfen!«
In dem Krankenhauszimmer, in das ich kam, lagen noch fünf andere Jungen. Einer hatte was an der Stirnhöhle und kriegte jeden Abend eine superlange Spritze in die Nase. Das hätte ich nicht ausgehalten. Mir taten schon immer die Spritzen in den Po so weh, daß ich schreien mußte. Einmal stach mir eine Schwester die Spritze so tief rein, daß die Spritzenspitze auf dem Knochen im Arsch kratzte.
Ein anderer Junge brachte mir den Trick bei, beim Spritzen-kriegen ins Kopfkissen zu beißen. Das half.
Bis zur Operation war ich noch froh, weil ich im Bett liegen konnte, während die anderen Kopfrechnen hatten. Schadenfreude ist die reinste Freude.
Damit war es nach der Operation vorbei. Vor Halsschmerzen konnte ich überhaupt nicht mehr schlucken. Ich sabberte in eine Schale und mochte nicht mal das Eis, das mir Mama mitgebracht hatte.
Sie kam jeden Tag, aber einmal sagte sie: »Morgen geht’s nicht, da mußt du tapfer sein, kannst du mir das versprechen?«
Ich versprach ihr das, aber als mir in der Besuchszeit am anderen Tag klar wurde, daß ich der einzige Junge im Zimmer war, der in die Röhre kucken mußte, tat ich mir so leid, daß ich so leise, wie es ging, in mein Kissen flennte.
Und dann kam Mama doch noch, und sie hatte einen großen Umschlag mit Briefen für mich dabei, von allen meinen Mitschülern. In der Schule war das Thema Post durchgenommen worden, und da hatten alle als Hausaufgabe gekriegt, mir einen Brief zu schreiben.
Wunder gibt es immer wieder, heute oder morgen können sie geschehn!
Mehr oder weniger hatten mir alle das gleiche geschrieben.
Daß sie die Post durchnehmen, mit der ganzen Klasse im Zoo gewesen sind und mir alles Gute wünschen. Am kürzesten war das Schmierakel von Benno Anderbrügge: Liber Martin! Im Zoo Sind mit drer (gnazen) ganzen Klase (gewe) gwesn und da War Die löwn pfütter wor dei Benno!
Drei von den vier Gabrieles hatten auf ihre Briefe Abziehbilder von Blumen und von Kätzchen gepappt, und Melanie Pape hatte lilanes Briefpapier mit aufgedruckten Igeln ausgewählt.
Die kleinste Schrift von allen hatte Michael Gerlach, wie Fliegenschiß, aber sein Brief gefiel mir am allerbesten: Lieber Martin, sei bloß froh, daß Du Dich im Krankenhaus ’rumtreiben kannst. Das bißchen Mandeloperation kann nicht so wehtun wie der Anblick der Irren, die sich gestern bei unserm Zoobesuch vorm Löwenkäfig tummelten, um zuzuschauen, wie die Raubtiere ihre Zähne in ein Menschenbaby schlugen. Ich glaube jedenfalls, daß es ein Menschenbaby war. Sehr viel sehen konnte ich nicht, weil ich hinten stand und die Omme von Torsten Hommrich vor mir hatte. Einstweilen gute Besserung!
Angela Timpe war die einzige, die mir keinen Brief geschrieben hatte. Dafür kriegte sie, als ich wieder in der Klasse war, noch einen Anranzer von Frau Katzer. Wenn Angela mal krank sei, werde sie von keinem einzigen aus der Klasse was kriegen, nicht einmal ein Fitzelchen von einem Kärtchen mit Genesungswünschen.
Dann fingen die Osterferien an.
In Volkers und meinem Zimmer war Oma Schlossers alter Kleiderschrank aufgestellt worden. Der eine Knauf war lose, aber man konnte allen überschüssigen Krimskrams oben auf den Schrank ballern, und innendrin war Platz genug für Volkers und meine Wäsche.
Renate zeigte mir die Fotos, die Papa von ihr im Wohnzimmer geschossen hatte. Da trug sie ein knöchellanges, mit Mamas Hilfe genähtes Kleid mit Blumenmuster, Puffärmeln und viereckigem Ausschnitt, eine von Mamas Broschen am Kragen und ein Samtband um den Hals, damit man den Leberfleck nicht so sah.
Wenn Papa samstags aus der Wanne kam, schmierte er sich die Haare mit Fit von Schwarzkopf ein und kämmte sie straff nach hinten. Im Badezimmer konnte man danach kaum atmen vor Wasserdampf und Zigarettenqualm.
Neu war, daß sich jeder von uns eigenes Wasser in die Wanne laufen lassen durfte. Ich wußte nicht genau, was ich lieber wollte, im eigenen Wasser baden oder im Wohnzimmer weiter beim Grand Prix
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