Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
mußte ich mir mal was holen.
Früher hatte ich gedacht, es gehe nichts über ein WG -Frühstück am Sonntag. Aber wenn Bärbel und Edith morgens in der Küche am Gicksen und Gacksen waren, blieb ich lieber liegen und wartete, bis sie sich verzogen hatten. Die schafften es noch, einen Morgenmuffel aus mir zu machen.
Eine Pleite war auch der Sonntagsausflug zur Sparrenburg, zu dem Heike mich überredet hatte. Nichts gegen Burgen, aber doch nicht mitten in der Stadt! Wenn sich vom Turm aus statt Wäldern bloß die Exkremente der modernen Architektur überschauen ließen, hätte man die Burg auch schleifen können.
Damit Mona nicht glaubte, daß mich ihre Liaison mit Heiner umgehauen habe, mußte ich ein gleichmütiges Antwortschreiben fingieren. Ich rang mir eine Gratulation ab und behalf mir dann mit einem Tatsachenbericht über Hermanns und meine Abenteuer in Hamburg.
Bei Heike lag ein Buch von Steffi auf dem Klo: »Der Papalagi«, eine Sammlung von Texten, mit denen angeblich ein Indianerhäuptling seine Stammesbrüder über die Fehler und Überspanntheiten der Bleichgesichter informieren wollte. Die – also wir – würden beispielsweise »Orte des falschen Lebens« aufsuchen (womit das Kino gemeint war):
Hier schleichen sich die Menschen hinein, tasten an den Wänden entlang, bis eine Jungfrau mit einem Feuerfunken kommt und sie dahin führt, wo noch Platz ist. Ganz dicht hockt ein Papalagi neben dem anderen in der Dunkelheit, keiner sieht den anderen …
Ja, schön wär’s! Im Kino hatte man doch meistens Zweimetermänner mit Afro-Krause vor sich sitzen.
Herr Thielke zuckte schon immer zusammen, wenn ich ihn um eine neue Aufgabe anging. Weil er nichts für mich zu tun hatte, schickte er mich zu Herrn Strothe, und der schickte mich zu Frau Perlacher, und die schickte mich dann meist zum Kaffeemachen los.
Bärbel und Edith hatten sich zum Großreinemachen entschlossen und wirbelten in der Wohnung mit Besen, Bürsten, Aufnehmern und Fensterledern. Da durfte ich mich nicht drücken. Ich könne ja den Backofen reinigen, sagte Bärbel.
In diesem Ofen sah es aus wie in ’ner Tropfsteinhöhle, mit dem Unterschied, daß in Tropfsteinhöhlen keine Fettschicht an der Wand hing. Meinen Bemühungen fielen nacheinander fünf Schwämme zum Opfer, ohne daß es eine nennenswerte Ofensauberkeitsverbesserung gegeben hätte.
Und das Backblech erstmal! Hatten die da Spiegeleier drauf gebraten? Von Herrn Kruse borgte ich mir einen Spachtel. Damit kriegte ich zumindest die schwärzesten Placken ab.
Eine Zeitlang führte ich Buch über Heikes emotionale Phasen – Wehmut, Niedergeschlagenheit, Tatendrang, Gereiztheit, Gelöstheit, Geilheit, Raserei, Erschöpfung –, aber ein System war da nicht reinzubringen.
Auch die Todsünde der Trägheit kam hinzu. Als Erich Fried in einem Jugendzentrum las, konnte Heike sich nicht von ihrer Matratze loseisen.
Den Altersdurchschnitt des Publikums im brechend vollen Jugendzentrum schätzte ich auf 21 Jahre. Schon sondersam, daß dieser dicke alte Mann so viel junges Volk auf die Beine brachte.
Neben dem Küchenwaschbecken stand am späten Nachmittag noch schmutziges Mitbewohnerinnengeschirr, und ich spülte was davon mit ab, nachdem ich mir ’ne Linsensuppe reingepfiffen hatte, aber mittendrin verlor ich schlagartig die Arbeitslust.
Heike hatte sich Romane von Dostojewski besorgt. Sie lag im Bett und las »Die Brüder Karamasoff«, und ich nahm mir »Die Dämonen« vor und setzte mich ans Fenster. Auf diese Weise wirkte es ein bißchen wie in dem einen Song von Simon & Garfunkel:
And you read your Emily Dickinson
And I my Robert Frost …
Es war aber keine ungetrübte Freude, Dostojewski zu lesen. Ich konnte einfach diese russischen Namen nicht verknusen: Stepan Trofimowitsch Werchowenski, Warwara Petrowna Stawrogina, Nikolai Wsséwolodowitsch Stawrógin …
Da setzte es bei mir aus.
Als ich nachhausekam, lotste Bärbel mich in die Küche und sagte: »Wir müssen mal mit dir reden.«
Sehr einladend klang das nicht. In der Küche saß auch Edith, und ich sah mich wie vor ein Tribunal gestellt. Die Anklage lautete, daß ich nur mein eigenes Geschirr gespült und das restliche liegengelassen hätte. Wenn man aber mit dem Abwaschen schon mal begonnen habe, dann gebiete es die Solidarität unter WG -Bewohnern, sozusagen reinen Tisch zu machen und sich um den gesamten Abwasch zu kümmern.
»Wenn hier jeder bloß noch seinen privaten Kram erledigt, sind wir keine Wohngemeinschaft
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