Alle Vögel fliegen hoch
knallte und jaulte, Simon fasste sich an den Kopf, Flipper, Vorteil Allrad, gewann; Simon strauchelte und kroch dann auf allen vieren hinter Flipper her in meinen Flur. Wie ein Käfer sah er aus mit dem großen schwarzen Rucksack.
»Boa! Ist das eine geile Wohnung, affengeil!« Simon zog seine Turnschuhe aus und streifte den Rucksack ab. »Und das ist dem Flipper sein Bett? Supi-Dupi!« Mit einem Satz warf sich Simon in Flippers Korb, streckte Arme und Beine von sich und die Zunge raus. Vergnügt blinzelte Flipper mir zu.
»Flipper!«, lockte Simon. »Flipper, komm zu mir, Bettigehen, Flipper ko-homm!«
Schwanzwedelnd folgte Flipper der Aufforderung, doch es war kaum mehr Platz in seinem Korb, kichernd und keckernd kugelten die beiden über den Boden. Flipper allein
macht oft schon genug Schmutz, besonders bei Schmuddelwetter, doch was die zwei hier in kürzester Zeit veranstalteten, war ein Dreck dagegen.
»Sag mal, Simon, wissen deine Eltern, wo du bist?«
»Simon! Ich rede mit dir.«
»Im Bett«, nuschelte er.
»Was im Bett?«
»Ich liege im Bett, das siehst du doch, im Flipper-Be-hett.«
»Ja, das mag schon sein, aber deine Eltern glauben, du liegst in deinem Bett daheim.«
Er setzte sich auf. »Das mag schon sein«, äffte er mich nach. Flipper stupste ihn an. Kumpel, nimm’s nicht so ernst, das vergessen die auch wieder, schau mal mein neuer Kauknochen, lecker, oder?
»Und wo sind deine Eltern?«
Magst vielleicht n’Stück?
»Die sind in Wolfratshausen auf einem Buffet von einem ganz berühmten Politiker, wo ich dir aber den Namen nicht sagen darf, sonst kommen die Leibwächter und duschdusch-dusch. «
Er boxte in die Luft.
»Alles klar«, sagte ich und stellte die schlaffen Blumen in eine Vase. Sie hingen wie gekappte Schnüre über den Rand. Ich goss mir ein Glas Wasser ein. Ich schaute aus dem Fenster. Ich hörte meinen Anrufbeantworter ab. Zwei Aufleger.
»Bist du sauer?«, fragte Simon.
»Sauer?«, wiederholte ich. War ich das? Sauer? Nein, ich war nicht sauer, ich war ratlos.
»Freust du dich denn nicht, dass ich da bin? Flipper freut sich!«
»Ja, der freut sich. Das kannst du laut sagen.«
»Flipper freut sich, Flipper freut sich!«, brüllte Simon.
Flipper bellte begeistert. Ich hielt mir die Ohren zu.
»Und ich freue mich auch, Simon …«, brüllte ich, »es ist nur – also ich glaube nicht, dass das deinen Eltern recht ist, und ich halte es auch für gefährlich, wenn ein Kind deines Alters abends allein …«
»Schrei doch nicht so!«
Dies war einer jener Momente, in denen ich ganz genau wusste, dass ich keine Kinder wollte.
»Schau mal, Franza«, bat Simon um Verständnis, »es ist noch hell…«
»Ja, aber nicht mehr lang, und deshalb bringe ich dich jetzt nach Hause.«
»Du, ich hab sooooo Hunger!« Simon saugte die Backen ein, ließ sie zurückschnalzen. Es schmatzte schallend. Wider Willen musste ich lachen. So ein Kasperl!
»Soll ich dir ein Brot machen?«
»Ja, bitte. Gehen wir noch mit dem Flipper Gassi? Da vorne ist die Isar. Das ist der Fluss, der durch die Landeshauptstadt München fließt. Er entspringt im Karwendelgebirge. «
»Hast du das auch in der Schule gelernt?«
»Das singt der Willi Michl, den hört meine Mama am allerliebsten. Wir haben auch schon mal einen Ausflug zum Sylvensteinspeicher gemacht, wie wir noch den Mercedes gehabt haben. Da gibt es das beste Erdbeereis auf der Welt. Isst Flipper auch gern Eis?«
»Ja, schon, aber das darf er nicht.«
»Warum?«
»Schlecht für die Zähne.«
»Meine Mama sagt, wenn ich meine Zähne fleißig putze, ist Schokolade nicht so schlimm.«
»Ist ein Käsebrot recht?«
»Ja, ja. Eine tolle Wohnung hast du! So modern! Und so viele Fenster. Wieso hast du keine Vorhänge? Kannst du den Ventilator mal einschalten? Ventilator finde ich cool, echt cool! Und das Sofa ist auch stark. Die Mama von einer Freundin von mir hat ein Auto mit Leopardensitzen. So ein Auto fahre ich auch mal, wenn ich groß bin. Schläft Flipper manchmal auf dem Sofa?«
»Das darf er nicht.«
»Sieht aber bequem aus«, sagte Simon und sprang zur Probe mal drauf. Er inspizierte auch meine Salzlampen und das Bücherregal, vertauschte ein paar Steine in meinem Zimmerbrunnen und hinterließ überall großzügig seine Fingerabdrücke, vor allem auf meinem Glasschreibtisch, der Vitrine und dem großen Spiegel. Ich überlegte, ob ich genug Glasrein vorrätig hatte. Vielleicht sollte ich ein Stück Schokolade essen. Nervennahrung.
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