Alle Vögel fliegen hoch
überhaupt schon durch die Gegend? Es war ein wichtiges Indiz in einem Mordfall. Ich durfte jetzt keinen Fehler machen.
»Also du, ich glaub, so ein Geschenk kann ich gar nicht annehmen, weißt du, das ist viel zu teuer… Ich mach dir jetzt mal ein Brot, okay? Und dann… ja, dann… Also ich komm gleich wieder, okay, ich gehe mal in die Küche. Ist Käsebrot okay?«
»Hast du Nutella?«
»Nächstes Mal besorg ich welches für dich.«
»Ein großes Glas?«
»Das größte, das ich beim Tengi kriege.«
»Morgen?«
»Morgen ist Sonntag. Übermorgen.«
»Und dann darf ich wiederkommen.«
»Ich rede mal mit deinen Eltern.«
»Mit meiner Mama! Die erlaubt es eher.«
»Okay, mit deiner Mama.«
»Super! Ich hab schon lang kein echtes Nutella mehr gegessen. «
»Lass dir doch mal vom Flipper seine tollen Spielsachen zeigen, bis ich dein Brot geschmiert habe«, schlug ich vor.
Unauffällig nahm ich mein Telefon an mich und ging in die Küche. Ich schloss die Tür und rief den Kommissar an. Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte, aber diese Geschichte hier war mir zu heiß, und ich würde nichts verschleppen oder verzögern.
Die Mailbox seines Handys sprang an.
»Hier spricht Franza Fischer. Bitte rufen Sie mich sofort zurück. Es ist jetzt Samstagabend, neunzehn Uhr, und es ist sehr, sehr dringend, danke.«
Ich butterte ein Brot. Dann rief ich bei der Polizei in Fürstenfeldbruck an und erfuhr, dass der Kriminalhauptkommissar erst ab Montagmittag wieder im Büro sei. Ich rief noch mal sein Handy an. Wieder die Mailbox. Sollte ich Moppelchen informieren? Ich brachte Simon ein Käsebrot, das er mit Flipper teilte, und machte ein zweites und ein drittes, von dem ich auch mal abbiss. Nebenbei fuhr ich den Laptop hoch. Ich klickte mich zum Telefonbuch München durch, da klingelte mein Telefon.
»Frau Fischer?«
»Herr Tixel! Vielen Dank, dass Sie anrufen! Es ist etwas passiert, ich habe hier…«, flüsterte ich.
»Frau Fischer, dies ist mein erstes freies Wochenende seit langem. Ich bin nicht im Dienst. Bitte melden Sie sich bei meinen Kollegen. Es ist immer jemand da. Die Kollegen sind mit dem Fall genauso vertraut wie ich. Mich erreichen Sie ab Montagmittag wieder. Aber es wird nicht nötig sein, dass Sie mit mir sprechen, weil wie gesagt die Kollegen im Bilde sind. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. «
»Halt!«
»Was ist denn noch, Frau Fischer?« Er klang genervt, und das tat mir weh. Überraschend weh.
»Das Fernglas ist hier. Das von Klaus Hase. Simon hat es mir gerade gebracht. Also ich vermute, dass es von dem Toten stammt. Was soll ich tun?«
»Was sagen Sie da? Simon Brettschneider hat Ihnen ein Fernglas gebracht? Nach Hause? Persönlich?«
»Ja! Ich komme gerade heim, da steht er vor meiner Tür mit einem Riesenrucksack. Ich glaube, seine Eltern wissen nichts davon. Und jetzt hat er mir das Fernglas geschenkt. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll! Ich muss ihn doch nach Hause fahren? Was sage ich seinen Eltern? Soll ich ihn fragen, woher er das Fernglas hat? Ich habe eine Freundin, sie ist Psychologin, ich könnte sie anrufen, vielleicht kann sie mit ihm reden, ich weiß überhaupt nicht, was ich machen soll, ich …«
»Franza!«
»Ja?«
»Versuchen Sie, ganz normal zu sein. Regen Sie den Jungen nicht auf. Ich komme zu Ihnen.«
»Sie?«
»Ja, ich.«
»Aber Sie haben doch frei.«
»Ich glaube, Sie wohnen gar nicht weit weg von mir, geben Sie mir bitte die Adresse?«
Warum nur hatte ich den Eindruck, er kannte sie bereits?
… normal benehmen. Normal benehmen! Wie benahm ich mich normal mit einem Kind in meinem Wohnzimmer, das vier Käsebrote verschlang, dabei Krümel für dreißig machte und in einer Tour redete. So vergingen fünfzehn Minuten. Flipper hatte sich zusammengerollt. Mal mit dem rechten, mal mit dem linken Auge beobachtete er uns. Wo blieb der Kommissar? Wie weit entfernt von mir wohnte er? Wäre es nicht besser, ich würde in der Zwischenzeit herausfinden,
wo Simon das Fernglas gefunden hatte? Als Frau war ich dazu viel geeigneter. Tatsächlich? Was würde Andrea tun? Auf keinen Fall würde ich Simon fragen, ob es ihm in der Schule gefalle. Diese Frage hatte ich als Kind stets gehasst. Genauso wie: In welche Klasse gehst du denn schon? Und: Hast du denn schon einen Freund? Immer dieses denn schon . Aber warum redete Simon so viel, er redete wie aufgezogen, ganz komisch kam er mir vor, oder war er immer so, waren Kinder allgemein so? Nein,
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