Alle Wege führen nach Rom: Die ewige Stadt und ihre Besucher (German Edition)
etwas abgenutztem humanistischen Brauch «Hauptstadt der Welt») gründlich kennenzulernen, blieb unbefriedigt.
Deshalb entschloss er sich im folgenden Jahr, Jean Du Bellay, der inzwischen Kardinal geworden war, erneut nach Italien zu begleiten. Diesmal blieb er entschieden länger in Rom, sein Aufenthalt dauerte vom 1. August 1535 bis zum 12. April 1536. Während dieser Zeit schrieb er mehrere Briefe an Geoffroy d’Estissac, Bischof von Maillezais, einer kleinen Stadt in der Vendée, von denen nur drei uns hier interessieren sollen, denn sie zeigen, dass Rabelais sich des besonderen historischen Moments bewusst war, den die Stadt durchlebte. Am 13. Oktober 1534 war Kardinal Alessandro Farnese zum Papst mit dem Namen Paul III. gewählt worden, und kurz nach seiner Wahl kündigte sich ein großes Ereignis an, der erste Besuch Karls V. in der ewigen Stadt. Nach seinem Feldzug nach Tunis war der Kaiser in Sizilien gelandet und zog von dort aus durch seine süditalienischen Besitzungen bis nach Neapel weiter. Hier erreichte ihn das Schreiben, dass der Papst ihn in Rom erwarte.
Die drei Briefe von Rabelais beschäftigen sich sehr ausführlich mit diesem kaiserlichen Besuch. Im ersten mit dem Datum 30. Dezember 1535 spricht er von der Kargheit der finanziellen Mittel, über die der Papst verfüge, und hebt hervor, dass Paul III. nicht wisse, wie er das zahlreiche Gefolge des Kaisers und die beträchtliche Zahl von Truppen, die mit ihm in Tunis gekämpft hatten, auf standesgemäße Weise unterbringen sollte. Noch größere finanzielle Schwierigkeiten machte Rabelais bei der Stadtverwaltung aus, die sich lange dagegen sträubte, den Anteil der Ausgaben zu übernehmen, den der Papst von ihr gefordert hatte.
Der zweite Brief, geschrieben am 28. Januar 1536, beschäftigt sich mit den Vorbereitungen für den Einzug des Kaisers, der durch die Porta San Sebastiano, das alte römische Stadttor an der Via Appia, die Stadt betreten sollte. Rabelais hatte sich eingehend über diese Vorbereitungen informiert und erfahren, dass der Weg des Kaisers besonders durch das antike Rom führen sollte, damit die römischen Überreste ihm sogleich vor Augen traten, wenn er die antike «Via triumphalis» entlang zog. Er sollte die Triumphbögen Kaiser Konstantins und Kaiser Titus’ durchschreiten, am Kolosseum vorbei zum Palast von San Marco weiterziehen und von dort aus über den Campo de’ Fiori und den Platz, an dem der monumentale Palazzo Farnese lag, in dem Paul III. bis zu seiner Wahl residiert hatte, die Engelsburg erreichen. Um die vorhandenen Straßen diesem Itinerar anzupassen, wurden, wie Rabelais berichtet, fast zweihundert Häuser und sogar drei oder vier Kirchen niedergerissen, ein Vorgehen, das als schlechtes Omen interpretiert wurde. Rabelais hält sich lange bei diesen Zerstörungen auf und lässt dabei als guter Franzose, der Karl V. als den Todfeind seines Königs Franz I. verabscheute, auch seine Feindseligkeit gegenüber dem Kaiser durchscheinen. Er schreibt, dass die Eigentümer der abgerissenen Häuser keinerlei Entschädigung erhielten (dass solche Entschädigungen dann doch nach seiner Abreise bezahlt wurden, konnte er noch nicht wissen). Im dritten Brief vom 15. Februar 1536 beklagt er nochmals den Abriss von Kirchen, Häusern und Palästen, um dem kaiserlichen Zug den Weg zu ebnen. Zur Finanzierung der Arbeiten, schreibt er, habe der Papst dem Kardinalskolleg, den beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomaten sowie deren Beamten, den Zünften und sogar den Wasserträgern neue Steuern auferlegt.
Sehr interessant ist auch, was Rabelais im dritten Brief über die Familie Papst Pauls III. schreibt. Der Bischof Estissac war neugierig zu erfahren, wie viel Wahres an dem schlechten Ruf sei, der dem Papst seit langer Zeit anhing, und vor allem, ob der Sohn Pauls III., Pierluigi Farnese, ein legitimer oder nur ein natürlicher Sohn sei. Rabelais erkundigte sich und antwortete, er sei ein Bastard, denn sein Vater sei nie verheiratet gewesen (Abb. 3). Sodann erzählte er ihm, wie Paul III. Kardinal geworden war, nämlich mit der Hilfe seiner Schwester Giulia, einer großen Schönheit und Geliebten Papst Alexanders VI. Der Borgia-Papst, schrieb Rabelais, habe sie auch in der Gestalt einer Madonna im Borgia-Appartement im Vatikan verewigen lassen. Die Nachricht vom Bild Giulias auf einem Gemälde im Vatikan taucht zum ersten Mal in diesem Brief auf und sollte große Fortüne haben, bis ein anderer Papst,
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